Komplize   Leserbrief   Roman lesen   weiter   zurück


KAPITEL X



               Fritz Hirzel, Komplize, Roman. Bei Limmat erschienen

               unter dem Titel Schindellegi, Paperback, 308 Seiten,

               Zürich 1988.


Die Abendschatten waren ganz den Hang hinab gekrochen,

in dessen oberster Mulde die Klubanlage ziemlich

verlassen aussah. Unten hatte der See sich verfärbt. Bleiern.

Nur gerade drüben, auf der Uferseite gegenüber,

war noch Sonne. Bob blickte zu den Häusern, Gärten oder

Villen hinüber, die im Widerschein der Abendsonne

lagen, von Zollikon seeaufwärts nach Herrliberg und darüber

hinaus.

      „Du hast’s aber hübsch hier draussen.” Fränzi trat neben

Bob an den Grillstand, zog den rechten Schuh aus und

stützte sich auf, um ihn auszuschütten. Über die Schulter sah

sie Bob an, hob erneut ihren grazilen Fuss und streifte

den Schuh über, einen leichten schwarzen Lederschuh mit

halbhohem Absatz. Sie lächelte distanziert.

      „Was ist jetzt?”, fragte Fränzi. „Du hast gesagt, wir sollten

einmal reden über alles. Hast du heute Zeit?”

      „Du, heute geht’s nicht so gut.” In Gedanken sah Bob

die Gefriertruhe vor sich. „Versteh mich bitte nicht falsch, Fränzi,

aber mir wär’s morgen lieber. Was meinst du?”

      „Bob, ich weiss nicht so recht. Das hast du gestern auch

gesagt. Und dann musstest du zu Flühmann. Du hast

das schliesslich vorgeschlagen, nicht ich. Wenn’s dir zuwider

ist, können wir’s auch lassen.”

      „Nein, im Gegenteil!” Einmal reden über alles, dachte Bob.

Genau das konnte er nicht. Er fügte hinzu:

      „Wir könnten zusammen essen gehen.”

      „Ich möchte lieber nicht.”

      „Wirklich, ich will das auf keinen Fall hinausschieben.

Es ist nur so, dass ich Max versprochen habe, ihm heute bei

einem Transport zu helfen. Er schafft’s alleine nicht.”

      „Max?” Fränzi stutzte. Sie sah Bob an, als hätte er etwas Ungehöriges gesagt. „Max heisst er jetzt also für dich?

Da habt ihr euch aber rasch gefunden, wenn ausgerechnet

du ihm dabei helfen musst.”

      „Wieso gefunden?”

      „Ich dachte, du wolltest zu Flühmann, um mit ihm über

Zimmerli zu reden.”

      „Das hab ich auch getan, bestimmt. Nur so hopp–hopp

ist nichts zu machen. Da gibt’s irgendeine, für Max

unangenehme Geschichte. Zimmerli war eine zeitlang

verschwunden. Jedenfalls hatten die zwei etwas

miteinander, was sie durch all die Jahre verbunden hat.

Max nennt’s die Ampa-Affäre.”

      Fränzi schüttelte den Kopf. „Hast du noch immer nicht

genug? Dabei steckst du mit jedem Tag tiefer im Schlamassel.

Weisst du, ich hab nichts dagegen, wenn’s einmal

hektisch zu und hergeht, aber auf einen Bullen vor dem

Frühstück kann ich verzichten.”

      „Es ist wegen Schubiger, ich hab’s mir gedacht.”

Bob zuckte die Schultern. „Ich versteh ja, wenn du seinetwegen

sauer bist. Ich kann doch aber nichts dafür.”

      „Ach Bob, darum geht’s nicht. Ich hab das Gefühl, du weichst

mir aus. Wie steht’s denn mit der Hand?”

      „Ist fast wieder gut.” Bob hatte sich auf den Boden

gekniet, um den Sack mit der Holzkohle zuzuschnüren. Er war

jetzt fast leer. „Die Hand kommt in Ordnung, mach dir

darüber keine Gedanken.”

      „Ich mach mir aber Gedanken, verdammt nochmal.”

Fränzi stampfte wütend auf. „Findest du’s vielleicht

normal, wenn so ein Typ dir schier die Hand vermasselt?

So ganz offenbar doch nicht. jedenfalls hast du das

Schubiger gegenüber mit keinem Wort erwähnt.”

      „Ja und?” Bob hatte sich aufgerichtet. Die Hand war

keineswegs in Ordnung, das spürte er. Und jetzt noch die Nacht

mit Max! Bob hoffte nur, dass sie Palmieri nicht zu weit

schleppen mussten.

      „Wenn ich den Bullen sagen soll, dass du in jener Nacht

zu Hause warst, mir kann’s egal sein. Ich bin aber kein Bulle. Und

ich frage mich, ob du mir die Wahrheit sagst.”

      „Meinst du, ich hab von Schubiger nicht genug?”,

empörte sich Bob. „Meinst du, ich will, dass er nachher mich verdächtigt? Nein, ich werd ihm dazu den Vorwand

nicht liefern.”

      „Wieso dich?”, fragte Fränzi.

      „Das ist es ja gerade. Mich hat er, mich kennt er, aber nicht

den Kerl aus dem Abbruchhaus. Der ist abgehauen.”

      „Es hat ihn aber doch gegeben.”

      „Natürlich.”

      „Dann gibt’s ihn noch immer. Man kann ihn finden,

Zimmerlis Leiche hat man auch gefunden.”

      „Du glaubst mir nicht”, sagte Bob. Dann gibt’s ihn noch

immer. Was meinte Franzi damit? Zum zweiten Mal betonte sie

das. „Es war genauso, wie ich dir sagte.”

      „Du sagst, der Kerl hat dich an der Hand verletzt,

als du ins Abbruchhaus wolltest. Nur versteh ich nicht, warum

er sich überhaupt eingemischt hat. Es ging doch um

Zimmerli. Ihn wolltest du zur Rede stellen.”

      „Er hat gesehen, wie ich Zimmerli nachgelaufen bin.”

      „Ein Besoffener, der sich dir in den Weg stellt.

So hast du ihn beschrieben, jedenfalls mir.”

      „Er hat mich angefallen.” Glaubte Fränzi, er hätte

ihr das nur so gesagt, als Begründung dafür, wie seine Hand

aussah?

      „Und dabei hat er dich verletzt. Das ist mir klar, Bob.

Er kann gegen dich aussagen, wenn es ihn gibt.”

      „Was meinst du damit: Wenn es ihn gibt?”

      „Ich weiss nicht. Wenn sie ihn finden”, antwortete Fränzi

ausweichend. „Er kann gegen dich aussagen, wenn

es ihn gibt – polizeilich gibt, meine ich. Und falls er Zimmerli

umgebracht hat, hat er dazu allen Grund.”

      Fränzi brach nach Hause auf, ohne sich für morgen

festgelegt zu haben. Die kühle Art, mit der sie sich

verabschiedet hatte, war für Bob ein weiterer Dämpfer. Ein

Glück, dass sie Palmieri in der Gefriertruhe nicht

entdeckt hatte! Bob wollte in der Toilette das Gesicht und die

Hände waschen, aber er konnte es nicht lassen, das

undicht gewordene Heftpflaster zu lösen. Die Wunde hatte

zu eitern begonnen.


Heiner, der Platzwart, klammerte sich noch immer an der

Bartheke fest. Er behauptete, sehen zu wollen, wer heute Nacht

Platz vier unter Wasser setze, aber ausser den Zumstegs

war niemand mehr da. Heiner war im Flussbett des Tiefsinns

angelangt, in welchem widerliche Trockenheit sich

ausbreitete. Er sagte:

      „Also einen Hund, der Brot frisst, das hab ich wirklich noch

nie gesehen. Das müssen Sie mir zeigen, ehrlich. Sonst

ist der Unterschied ja nicht gewaltig. Ein hübscher Hintern,

manchmal ist das schon das halbe Leben, nicht wahr.”

      Der Zwergpudel der Frau des Geschäftsführers hatte längst

zu betteln aufgehört. Er döste zusammengekuschelt auf

einem der Barhocker, seufzte vernehmlich und zog den Kopf

ein, als träumte er schwer.

      „Und der andere?” Heiner rutschte mit dem Ellbogen

ab, auf dem er seinen schweren Oberkörper abgestützt hatte.

„War der auch apricot?”

      „Rosy? Nein, Rosy war schwarz.” Frau Zumsteg hatte

eine singende Stimme. Sie lallte ein wenig. „Schwärzer als die

Nacht! Edgar, mein Schatz, weisst du noch, wie Rosy

in Silvaplana an jenem Blindgänger geschnüffelt hat?” Ihr Mann

war hinter die Theke getreten, um eine leere Flasche

zu versorgen. Sicher, das hatte er nicht vergessen.

      Zu Heiner sagte Frau Zumsteg: „Wissen Sie, Rosy hatte

einen Riecher für Sprengstoff.”

      Nicht ein Wort, das in der Stille unterging. Bob drückte

sich an die Wand. Auf seiner Uhr hatte er Viertel vor elf. Die Tür

zum Klubhaus stand sperrangelweit offen, nur das Licht

der Bartheke fiel in den Vorraum, der hinter Bob kalt und hohl

wirkte. „Da bist du anders, Frou-Frou, gell.” Frau Zumsteg

streichelte ihren Zwergpudel. „Du kleine Knutschedame, du!”

Jetzt sah Bob, wie sie Frou-Frou auf den Arm nahm.

Rasch trat er zum Eingang des Klubhauses und nahm die

Zeitung, die er in den Türspalt gesteckt hatte. Nur

nichts liegen lassen! dachte Bob. Zutritt nur für Mitglieder,

stand draussen.

      In den Baumkronen raschelte der Wind. Gartenlichter

markierten den Parkplatz, auf dem noch zwei Wagen standen.

Hinter Drahtgitter und Gebüsch lag, taghell im

Tiefstrahlerlicht, Platz eins, leer und abgeräumt. Bob folgte

der Strasse hinter der Einfahrt bis zur Stelle, wo der

Fahrweg abzweigte. Er fühlte sich jetzt besser. „Du musst

trotzdem etwas essen”, hatte Flühmann gesagt.

Erstaunlich, über Palmieri war kein Wort mehr gefallen.

Sie waren nach Hause gefahren, wo Flühmann

in der Küche zwei Steaks hervorgeholt und in die Bratpfanne

gelegt hatte. Dazu hatte Bob Tomatensalat zubereitet,

mit sattgrünen, fein geschnittenen Basilikumblättern, deren

köstlicher Duft an den Fingern haftete.

      „Vorsicht”, flüsterte Flühmann. Er hielt Bob die Wagentüre auf.

„Leise zuziehen. Hast du die Zeitung wieder mitgebracht?”

      Bob reichte ihm die Neue Ziircher Zeitung und stieg ein.

      Flühmann sagte: „Wenn jemand kommt, sind wir ein Liebespaar.”

      Bob starrte vor sich hin. Ein Liebespaar. Die Idee behagte

ihm nicht.

      „Und?”, fragte Flühmann.

      „Heiner ist noch hier. Bei ihm sind Herr und Frau

Zumsteg mit Hund. Es sieht aber so aus, als ob sie gleich

aufbrechen. Ich weiss nur nicht, was sie mit Heiner

machen. Er ist ziemlich voll.”

      „Manchmal schläft er sogar im Klub.”

      „Geschieht das öfter?”

      „Von Zeit zu Zeit kommt ihm hoch, was er hier zu

schlucken hat, dann besäuft er sich. Wartest du hier? Ich geh

nachschauen, ob die Zumstegs ihn mitnehmen.”

      Dann war Flühmann verschwunden. Bob blieb im Wagen

und wartete. Geräusche der Nacht, die in der Dunkelheit

auffielen. Unwirklich. Ein Rascheln. Nichts. Bob dachte an Fränzi.

Was macht sie wohl jetzt? Wenn er das hier überstanden

hatte, war Schluss mit allem. Du steckst mit jedem Tag tiefer

im Schlamassel. Und jetzt sass er hier, bequem in diesem

BMW 320, der Flühmann gehörte, mit dem Bob plötzlich mehr

verband als mit Fränzi. Warum sonst sass er hier? Bob

fiel die Szene beim Essen wieder ein. Flühmann hatte sich nach

seiner Schreibarbeit erkundigt und ernsthaft, wirklich

aufmerksam zugehört. Das Dumme war nur: Bob konnte

sich nicht erinnern, Flühmann gegenüber in dieser

Richtung etwas erwähnt zu haben. Woher also wusste Flühmann,

dass er sich mit Schreiben beschäftigte? Bob hatte

plötzlich Zweifel. Er wusste selbst nicht warum, er war bei

Flühmann einfach nicht mehr so sicher. Rascheln.

Etwas, das vom Baum herunterfiel. Der See, der schwarz

und glänzend dalag; die Lichter am Ufer gegenüber,

die sich im Wasser spiegelten. Ein Nachtschiff, hell erleuchtet.

Tanzmusik. In der Ferne Stimmen, die aber nicht näher

kamen. Was machte Flühmann so lange? Es dauerte eine

Ewigkeit. Irgendwo schlug ein Hund an. „Rex, komm

her!”, rief jemand in schneidendem Ton. Mein Gott, wenn

Flühmann ihn hier sitzen liess, dachte Bob. Ob er

nachsehen gehen sollte? Überall wäre es besser als in diesem

Wagen drin, wo er versprochen hatte zu warten.

      Bob sah, wie Flühmann ihm entgegenkam.

      „Alles in Ordnung?”, fragte Flühmann. Er atmete hastig.

      „Im Klub ist alles dunkel. Sie sind abgefahren. Nur

haben sie Heiner nicht mitgenommen.”

      Bob erschrak. „Du willst sagen, er ist noch im Klubhaus.”

Eine halbe Stunde war vergangen, seit Flühmann Bob

verlassen hatte. „Und was willst du machen?”

      Flühmann zuckte die Schultern. „Es geht sicher, wenn wir

leise machen. Ich hab mich umgesehen. Sein Wagen

steht bereit.”

      „Der von Heiner?” Neben dem Wagen von Zumsteg

hatte noch ein zweiter auf dem Parkplatz gestanden, erinnerte

sich Bob.

      „Nein, Palmieris Mietwagen. Ich hatte ihn weggestellt.”

Flühmann beugte sich vor und entnahm dem Handschuhfach

eine Taschenlampe. „Ich schlage vor, wir packen

Palmieri jetzt hinein, ich fahre mit ihm voraus, und du kommst

Stück für Stück nach. Meinst du, für dich geht das so?”

      Angst und Wut packten Bob. Meinst du, für dich geht das

so? Abscheulich, wie die Worte Bob aufstiessen. Er sah,

wie Flühmann die Taschenlampe anknipste. Musste das sein?

Bob merkte, wie ihm die Glieder steif geworden waren.

Ein Lichtstrahl streifte seine Füsse, als er aus dem Wagen stieg.

Nein, für mich geht das so nicht! wollte Bob sagen,

aber er fragte nur:

      „Was ist, wenn Heiner uns sieht?”

      „Lass mich nur machen.”

      Sie gingen zum Klubhaus zurück. Das Gebäude lag still

und verlassen da. Neben dem Fussweg zum Eingang stand jetzt

ein dunkler Mercedes, den Bob vorhin nicht auf dem

Parkplatz gesehen hatte. Flühmann bückte sich, um den

Kofferraum zu öffnen. Er hatte die Taschenlampe Bob

gegeben, der ihm leuchtete. Der Deckel klemmte und sprang

zuletzt geräuschvoll auf, sodass sie beide sekundenlang

reglos verharrten. Sorgfältig klappte Flühmann den Deckel herunter,

ohne ihn zuzudrücken. Für die Eingangstüre hatte er

Schlüssel, Bob wunderte sich woher, als er Flühmann folgte

und eintrat.

      Jetzt standen sie im Vorraum. Der Lichtkegel der

Taschenlampe huschte durch das Dunkel. Flühmann ging

voraus. Das Treppenhaus. Tastend, die lange Wand

entlang. Gestapelt Harassen. Vorsicht! Flühmann drückte auf

eine Türfalle. Fahles Licht fiel in die Finsternis. Auf der

Pritsche im Sanitätszimmer lag Heiner und schnarchte –

regelmässig wie ein Pumpwerk, selbst in den

Unterbrechungen, wenn der halb geöffnete Mund aufs Kinn herabgesackt war. Bob trat einen Schritt zurück.

Die Situation war ihm nicht geheuer.

      Flühmann hielt die Türfalle fest. Heiner rückte jetzt mit

dem Gesicht beiseite. Und wenn er aufwacht? ging es Bob durch

den Kopf. Sicher träumt Heiner von Meereswellen wie

einer, der jeden Augenblick pissen gehen muss. Flühmann

hatte die Hand gehoben, zur Faust geballt, als wollte

er prüfen, wie kräftig sie war. Lautlos zog er die Türe zu. Wenn

das bloss gut geht, dachte Bob. Er war ganz aufgeregt,

als sie unten anlangten. In der Dunkelheit des Mannschaftszimmers blubberte, gurgelte und knurrte die Gefriertruhe wie

ein riesiger Magen, dem schwer verdauliche Kost zugeführt

worden war.

      „So”, flüsterte Flühmann. Er öffnete zielstrebig den Deckel

der Gefriertruhe. Palmieri lag mit angezogenen Beinen

vor ihnen, mit dem grünen, steif gewordenen Reklametransparent umwickelt wie mit einem undurchdringlichen, bis zur Hüfte

reichenden Leichentuch.

      Bob schauderte.

      „Nimmst du ihn unten?” fragte Flühmann. Mit der freien

Hand zerrte er am Bündel, aber Palmieri, starr, tiefgefroren, wie

er war, klebte an der Truhe fest.

      Endlich! Bob atmete auf, als sie den Leichnam mit vereinten

Kräften losgeeist hatten. Palmieri war, halb liegend, halb

sitzend, in seiner Haltung erstarrt. Sie schleppten ihn jetzt die

Treppe hinauf, Bob mit Palmieris Füssen voraus, die

Taschenlampe haltend. Bob war patschnass vor Anstrengung.

Nur nicht anhalten! Und nicht so laut schnaufen! sagte

sich Bob, aber das nützte nichts. Mit letzter Kraft krallte er die

aufgeschürften, halb gefrorenen Finger zusammen. Vergeblich.

Bob taumelte. Um ein Haar wäre er auf einem Tennisball

ausgerutscht, der mitten auf dem Treppenabsatz liegengeblieben

war. Bob merkte, wie Palmieris Rumpf schwerer wurde

und ihm entglitt. Bob hauchte:

      „Stop.”

      Auch Flühmann keuchte. Er beugte sich zu Boden,

nachdem er mit dem gefrorenen Kadaver, der ihn fast ganz

verdeckte, auf einer Treppenstufe unterhalb angehalten

hatte. Hilflos sah Bob zu, wie der Tennisball aufreizend langsam

über den Rand des Treppenabsatzes rollte, um an

Flühmann vorbeizuhüpfen, Stufe um Stufe, mit jedem Aufprall

lauter den Gang hinab.

      Bob horchte ihm entsetzt nach, bis Sekunden später

von der Türe, hinter der Heiner lag, die vertrauten Schnarchlaute

ertönten.

      Wortlos hoben sie Palmieri wieder hoch und schleppten

ihn ohne Zwischenhalt hinauf zum Eingang. Das hässliche Bündel!

Bob trat absichtlich mit dem Schuh dagegen, als Flühmann

die Tür aufmachte. Bob atmete in kurzen Stössen, kauerte nieder

und rieb sich die Knöchel, die schmerzten. Dann bückte

Flühmann sich, und Bob packte erneut Palmieris Beine. Diesmal

hatte Flühmann Mühe. Er brachte das Leichenbündel

erst hoch, nachdem er nachgefasst und tief Luft geholt hatte.

      Vom Eingang waren es über den Fussweg bis zum

Mercedes zehn Meter. Das schafften sie entschieden besser,

in raschen kleinen Schritten, fast schwungvoll. Endlich

lag Palmieri hinter seinem Mietwagen, eingewickelt, mit starr

abgewinkeltem Arm, als müsste er um jeden Preis

hierher zurück.

      „Scheisskerl!”, fluchte Flühmann tonlos. „Wegen diesem

Scheisskerl krampfen wir wie die Arschlöcher!” Er hatte den

Deckel des Kofferraums hochgeklappt.

      Sie hoben Palmieri hoch. Er passte genau hinein. Bob

wischte die Hände an der Hose ab, lieber hatte er Palmieri nie

angerührt. Noch ragte Palmieris Arm heraus, aber

Flühmann zerrte den Deckel zu und drückte Palmieri nieder.

      „Endlich”, sagte Bob. Unsicher fügte er hinzu: „Weisst du,

wo du mit ihm hinwillst?”

      „Nichts wie weg hier! Das ist alles, was ich weiss.”

      „Das ist – warum hast du nichts gesagt? Ich hab gedacht,

du weisst, was du vorhast.”

      „Was ich vorhabe? Einen Platz für ihn suchen. Für die

ganze Fuhre hier. Vielleicht ist es besser, wenn du vorausfährst,

Bob. Ich muss nochmals ins Haus zurück. Einen

Kontrollgang machen.”

      Bob zögerte. Er war froh, dass Flühmann das selber

besorgte. „Und wo willst du, dass ich hinfahre?”

      „Wir könnten ein Stück weit die Autobahn nehmen.

Du weisst, die grünen Schilder, immer Richtung Chur. Nach

Thalwil kommt eine Tankstelle. Ich schlage vor, wir

treffen uns dort.”

      Und wenn Palmieri Spuren hinterlassen hatte? Bob hatte

die Schultern eingezogen. Er hätte gerne die Hände gewaschen,

aber das war jetzt nicht möglich. Der Himmel war sternklar,

als Bob die Türe des BMW 320 öffnete und einstieg. Er verharrte

einen Augenblick reglos am Steuer, die Augen geschlossen,

aber seine Hände zitterten unvermindert. Für Palmieri einen Platz

suchen! Der Wind bewegte in den Bäumen rauschend die

Blätter. Ein einziger Tiefschlag ist das, dachte Bob und startete.

Der Motor sprang sofort an, aber nach wenigen Metern

steIIte sich Bob bereits eine Umleitungstafel entgegen. Er geriet

in eine Wohnquartiergegend und hatte zwei Strassen weiter

das Gefühl, sich im Kreis zu drehen, bis er in der Entfernung

geradlinig die Fahrzeuge vorbei rasen sah – wie Lichtgeschosse,

die durch den Nachthimmel flitzten. Und schon jagte

er selbst hinter zwei Schlusslichtern über die Autobahnrampe

davon, aber irgendwann, in einer halb bewussten

Schrecksekunde, war Bob, als schwebte ein dunkler Mercedes

an ihm vorbei.


Komplize   Leserbrief   Roman lesen   weiter   zurück