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KAPITEL IV



               Fritz Hirzel, Komplize, Roman. Bei Limmat erschienen

               unter dem Titel Schindellegi, Paperback, 308 Seiten,

               Zürich 1988.


Flühmann hatte die Uhr abgenommen um sie zu richten. Mitteleuropäische Zeit. Draussen war es taghell geworden. Eine

verhaltene Geschäftigkeit begann sich zwischen den

Sitzreihen der First Class breitzumachen. In einer halben Stunde

würden sie in Zürich-Kloten landen. Mit leiser Ungeduld

begannen die Passagiere sich den Aufgaben zuzuwenden, die

sie nach der Landung erwarteten. Flühmann legte die Uhr

wieder um. Und ich? Seine Hand war zur Faust geballt, als er sie

auf die Innenseite drehte. Nein, er musste die Dollarbündel

nicht verteidigen, die er auf sich trug. So einfach war das nicht.

Wie hatte Jeff gesagt, als er nochmals im Hotel angerufen

hatte, um sich zu verabschieden? Von Palmieri nichts Neues!

Flühmann hatte das für eine gute Nachricht gehalten.

Er langte an die Stirn, als er jetzt daran dachte.

      Die Stewardess erschien, gefasst, nicht so quirlig wie

vorher, als sie das Frühstück abgeräumt hatte. Sie verzog ihren

Mund zu einem leicht gespannten, erschöpften Lächeln

und sah Flühmann mit grossen Augen an, ehe sie sich zutraulich

herabbeugte. Sie sagte:

      „Entschuldigen Sie, die Sache mit diesem Herrn tut mir leid.

Ich glaub, ich hab einen Fehler gemacht.“

      „Das macht nichts.“

      „Der Mann mit dem Cognak. Ich hätte ihn besser

nicht gefragt, ob er sich nicht hinsetzen will. Sie sahen nicht

glücklich aus.“

      Flühmann spürte, wie die Stewardess ihn von der

Seite anblickte. Er wusste nicht recht, ob er sich gleichgültig

oder amüsiert geben sollte.

      „Das ist Ihnen nicht entgangen?“ fragte er.

      „Nicht, dass es mich etwas angeht, aber ich weiss, wie

es sein kann, wenn ich jemanden los werden muss.“

      Rührend. Flühmann lockerte das Hemd. Die Stewardess

war in kleinen Schritten davon gestapft. Und peinlich.

Imgrunde hatte sie mit einem Blick erfasst, um was es ging. Und

das, obwohl Flühman selbst jetzt, wo er sich’s in Ruhe

überlegen konnte, keinesfalls durchblickte.


Nachts, als im Film endlich THE END gekommen und an Bord

mattes Licht angegangen war, hatte Flühmann das leere

Glas beiseite gestellt. Die Stewardess, die ihm noch zu einem Bier

hätte verhelfen können, erblickte er vorne. Neben ihr stand

der Steward, ein muskulöser Gigolo. Beide hantierten vergnügt

an der Leinwand. Sie liessen sie einrollen. Sie hatten die

Köpfe zusammengesteckt und lachten.

      Flühmann beugte sich zur Fensterluke. Finsternis.

Flühmann fröstelte. Er stellte sich vor, in diesem Nichts verloren

zu gehen, in der Verlassenheit des Alls. Hatte er sich

vergewissern wollen? Ein Schauder packte Flühmann. Wie

um ihn abzuschütteln, drehte er sich um.

      Ein Kerl, zwei Reihen weiter hinten, schräg versetzt,

nickte teilnahmsvoll. Er trug einen dunklen gut sitzenden Anzug,

der nach teurem Stoff aussah und die Schultern betonte.

Die Augen hatten etwas Verschlagenes, seiner ernsten Miene

zum Trotz. Das Kinn breit, kräftig. Gepflegtes dunkles

Kraushaar umgab den Schädel. Der Kerl sah müde aus. An seiner linken Backe schimmerte hellhäutig eine Narbe.

      Was soll das? Flühmann hatte nicht die Absicht, sich mit

dem Kerl oder irgendjemandem sonst in ein Gespräch einzulassen. Nicht, solange er mit Jeffs Geld unterwegs war. Da war

es sicher ratsam, sich nicht mit einem Passagier abzugeben, der hinterher ein Zeuge sein konnte. Hinterher? Ein Zeuge

wozu? Flühmann wusste es selbst nicht. Sah der Kerl am Ende

aus wie einer, der sich an sein Geld hängen wollte,

nachdem er ihn einige Zeit beobachtet, um nicht zu sagen

beschattet hatte? Lächerlich. Trotzdem war es, als

hätte etwas Beunruhigendes Flühmann erfasst, ein leiser

Verdacht, der wie ein Stachel war. Man spürte ihn

zuerst kaum, aber die Stelle schwoll an. Nur gut, dass Dunkelheit

die Sitzreihen einzuhüllen begann.

      Flühmann nagte zerstreut an der Unterlippe, als die

Stewardess bei ihm anlegte. Sie nahm das Bierglas. Die Flasche.

      „Ist es möglich mir noch so eins zu beschaffen?“

      „Aber sicher.“ Einen Augenblick tauchte sie mit dem Kopf

ins Licht der Sitzbeleuchtung, ihr kurzes blondes Haar

angestrahlt. Flühmann konnte, ein prickelndes Gefühl, den Duft

ihres Parfums wahrnehmen, soweit hatte sie sich dabei

vorgebeugt. „Haben Sie den Film auch nicht gesehen?“

      „Ich habe mein Kino im Kopf.“

      Die Stewardess blickte pikiert. Dann entschloss sie sich,

Flühmann zuzuzwinkern. Ihre Schulter, schlank, wohlgeformt,

zeichnete sich unter dem Stoff ihrer Bluse ab, als sie sich

abdrehte. Etwas, das Flühmanns Blick nicht entging. Mit kurzen

Schritten eilte sie fort, als wollte sie ihn nicht auf falsche

Gedanken bringen.

      Wie belebend es sein musste, so jemanden zur Tochter

zu haben, dachte Flühmann. Er schloss die Augen. Ausgerechnet

er! Nie hatte er ein Kind gewollt. Er hatte zuviel gesehen,

als er selbst noch klein gewesen war. Und Vilma? Ihr war ihre

Freiheit lieber. Sie als Mutter – das sehe sie überhaupt

nicht, hatte Vilma gesagt, als sie geheiratet hatten. So manche

ihrer Freundinnen hatte es sich irgendwann noch

anders überlegt.

      „Und jetzt? Was macht sie jetzt?“, hatte Vilma gefragt.

„Jetzt ist sie weg vom Fenster.“

      Sie hatte das gesagt, nachdem Rita ihr erstes Kind

bekam. Ungerührt hatte sie es gesagt. Flühmann rieb sich am

rechten Auge. Jeff fiel ihm ein. Oder vielmehr, wie er sich

über Sandy beklagt hatte. Imgrunde war Jeff auf seine Tochter

doch stolz. Und sie, hatte sie sich derart verändert?

Ein Schwein. Was hatte Sandy derart in Wut gebracht? Mit

der Mafia unter einer Decke. Das war nicht Sandy, wie

Flühmann sie kannte. Eigentlich wurde er nicht klug aus dem,

was Jeff ihm erzählt hatte. Ob nicht am Ende mehr

dahinter steckte?

      Die Stewardess war zurückgekommen. Sie zeigte

Flühmann die Bierflasche, ein Feldschlösschen, sie kappte

den Deckel und schenkte ein. Hatte sie nicht im Gesicht,

ohne abweisend zu sein, etwas Gewitztes? Flühmann sah, wie

sie ihren Mund zu einem leisen undurchsichtigen Lachen

verzog.

      „Ihr Bier, Monsieur.“

      Er nahm das gefüllte Glas, das sie ihm reichte.

      „Dankeschön. Ist kalt, wie ich’s mag.“

      Er hätte ihr gern etwas Aufmunterndes gesagt – irgendein Kompliment, das er beiläufig anbringen konnte. Es fiel

ihm aber nichts ein. Zu persönlich – nur der Einwand blieb

hängen. Flühmann besah sich die Schaumkrone. Seit

wann hatte er es nötig, witzig zu sein?

      „Da wäre noch etwas.“ Die Stewardess sah sich um,

verlegen fast, ehe sie mit einem Hauch ernster Vertraulichkeit

fortfuhr: „Ich mach das sonst nicht, aber der Herr da, der

zwei Reihen hinter Ihnen sitzt, besteht unbedingt darauf, dass

ich Ihnen das hier gebe.“ Sie überreichte Flühmann eine

kleine weisse Visitenkarte, die sie auf ihrem Tablett liegen gehabt

hatte. „Er lässt fragen, ob er Ihnen einen Whisky oder

einen Cognak oder sonst etwas anbieten darf.“

      Flühmann hielt die Karte in der Hand, fassungslos.

In kursiver Schrift stand drauf: Charles Palmieri, Management Consultant.

      „Da kann ich nicht nein sagen.“ Das war nicht gelogen,

nicht ein Wort, aber Flühmann versetzte es einen Stich, als ihm

das klar wurde. „Ich nehme ein Glas Cognak.“

      „Einen Henessy, Monsieur? Ich darf ihn bringen, wenn Sie

damit fertig sind?“

      „Ja. Mit einem Kaffee, wenn das geht.“

      Es war, als hörte Flühmann sein Herz schneller schlagen.

Er versuchte in Ruhe den ersten, nicht zu knappen Schluck aus

dem Bierglas zu genehmigen. Er versuchte, mit Gelassenheit

dem entgegenzublicken, was auf ihn zukommen mochte.

      Palmieri also war der Kerl, der ihm zugenickt hatte.

Ein stummes, müdes Lachen stiess Flühmann auf. Dabei war

er selbst es gewesen, der Jeff bestärkt hatte, den Kerl

nicht ernst zu nehmen. Er hätte es vielleicht genauso getan,

aber bestimmt nicht mit derselben Entschiedenheit,

hätte er geahnt, dass die Drecksarbeit nicht Jeff, sondern ihn

erwartete. Flühmann schloss die Augen. Ist es eine

bestimmte Summe, die der Kerl mir abjagen will? Wie hoch

wird sie sein? Wird Palmieri auf irgendwelche rabiate

Kumpel hinweisen, die uns in Zürich-Kloten erwarten? Wird er mir

mitteilen, welche Toilettenkabine für die Geldübergabe

vorgesehen ist?

      „Mr. Flühmann?“

      Palmieri hielt ein Cognakglas in der Hand, das er

wie zum Zeichen der Begrüssung hob. Er war ein Mann von

Eleganz. Um die Mundwinkel ein Grinsen, das er nicht

verbergen konnte. Grosse, leicht gerötete Augen. Die Haut

halbdunkel, gepflegt. Kein abstossendes Gesicht, wäre

der Makel dieser Narbe nicht, die nach einer bösen Abrechnung

aussah.

      „Finden Sie nicht, wir sollten die seltene Gelegenheit

nutzen und uns ein bisschen unterhalten?“

      „Ich weiss gar nicht, was mir die Ehre verschafft.“ Das ist

es also, dachte Flühmann. Einen Beschatter hat Jeff

gehabt, gestern an der First Avenue, als er ins Beekman

Tower gekommen ist. Entweder Palmieri selbst oder

einen seiner Komplizen, falls Palmieri welche hat. Nur so ist

er an mich herangekommen.

      „Das will ich Ihnen gern verraten.“ Palmieri schwenkte

den Cognak in seinem Glas. Er hatte ein Blinzeln

im Blick. „Wir haben ein Interesse, das uns miteinander

verbindet.“ Er hob das Glas. Er schnupperte daran.

Er machte eine geniesserische Miene.

      „Ach nein.“

      „Darf ich Sie fragen, wie’s Mr. Winter geht?“

      „Sie kennen ihn?“ Flühmann schenkte das restliche Bier ein. Palmieris anbiedernder Ton war ihm zuwider.

      „Kennen, Mr. Flühmann, ist vielleicht nicht ganz

das richtige Wort. Ich bin mit Mr. Winter beschäftigt, wenn

ich so sagen darf.“

      Flühmann trank ungeduldig das Bier aus.

      „Entschuldigen Sie. Ich versteh nicht, was Sie meinen.“

      „Ich hab Endlagerbescheinigungen gesehen, die Mr. Winter respektive die Confidential Phoenix betreffen.“ Palmieris

Stimme wurde unverhohlen triumphierend. „Und ich muss Ihnen

sagen, dass es sich um schlechte Fälschungen handelt.“

      Ein glatzköpfiger dürrer Mann stemmte verärgert das Gesicht

hoch. Seine leberfleckige Hand ragte über den Vordersitz

hinaus, auf dem er sich aus der Liegestellung aufgerappelt hatte.

      „Lassen Sie mich bloss mit ihren Fälschungen in Ruhe“,

fuhr er Flühmann auf deutsch an. „Und Sie, müssen Sie eigentlich

so laut reden?“ Mit diesen Worten drehte der Mann sich

ab und verschwand im Halbdunkel, als hätte er nicht vor, aus

dem Revier seines Schlafes wirklich aufzutauchen.

      Die Stewardess brachte Flühmann Kaffee und Cognak.

      „Macht’s Ihnen etwas aus solange hier Platz zu nehmen?“,

wandte sie sich an Palmieri. Entsetzlich, dachte Flühmann. Sagt sie

das, weil sie den Ärger mit dem Glatzkopf mitbekommen hat?

Oder sagt sie das einfach, weil Palmieri ihr im Weg steht?

      „Wenn Sie nichts dagegen haben.“

      Das hört sich nüchtern an, so selbstverständlich, als würde

Palmieri um Feuer bitten. Flühmann hatte – ohne sich Mühe

zu geben, das Widerstrebende, Zögernde zu verbergen – eine

Geste der Einladung andeuten wollen. Aber er brauchte

nicht einmal mit dem Kopf zu nicken, da hatte er Palmieri mit

einem erstickten Hüsteln schon neben sich sitzen, das

Glas zum Beweis seiner Aufmerksamkeit erneut erhoben.

      „Auf den Erfolg ihrer kleinen Expedition!“

      Ungerührt hob Flühmann sein Glas.

      „Der steht nicht in Frage. Es sei denn, Sie stellten sich etwas

darunter vor, das mit meiner Reise nichts zu tun hat.“

      „Das glaube ich eigentlich nicht.“

      Palmieri trug einen Ring aus gehämmertem Gold. Er hatte

eine kräftige gelenkige Hand. Sie sah aus, als verstünde er

mit ihr zuzuschlagen.

      „Sie sagten vorhin irgendwas von Bescheinigungen, die

gefälscht sein sollen. Wenn Sie damit andeuten wollten, Mr. Winter

habe sich etwas zu schulden kommen lassen, warum erstatten

Sie nicht Anzeige?“

      „Anzeige erstatten?“ Palmieri runzelte missbilligend die Stirn.

„Ich glaube, Mr. Flühmann, wir verstehen uns noch nicht

ganz. Mir liegt es fern, Ihnen oder Mr. Winter Schwierigkeiten

zu machen. Ich fände es bedauerlich, wenn ein solches

Geschäft scheitern rnüsste, nur weil ein paar Papiere in falsche

Hände geraten sind.“

      Als wären sie das nicht bereits. Flühmann überlegte,

wie er sich verhalten sollte. Das hier, da gab es keinen Zweifel,

war Palmieris Stunde – „seltene Gelegenheit“, hatte der Kerl

nicht selbst so gesagt? Flühmann trank Kaffee. Zuerst einmal kam

es darauf an, das hier zu überstehen, ohne sich im

Handlungsspielraum zu sehr einengen zu lassen. Palmieri

trat zu selbstsicher auf. Was konnte er schon in

Erfahrung gebracht haben – was, ausser Namen, Hotel,

Flugverbindung? Flühmann sagte:

      „Ich weiss nicht, wie ich das verstehen soll.“

      Palmieri nippte am Glas. „Ich muss Ihnen etwas zeigen“,

sagte er und zog ein Papier hervor, das er entfaltete

und Flühmann überreichte.

      Tonbandprotokoll Besprechung (Teilnehmer, Ort und

Datum gestrichen) Restrukturierungsprobleme.

      Flühmann überflog die Fotokopie. Ein Text, in enger

Schaltung getippt, fehlerfrei, zumindest ohne Korrektur.

      Mr. (Name gestrichen) sagt, Mr. Winter sei nicht der

einzige Firrneninhaber, der sich in dieser Art rnit der Beseitigung

von Giftmüll beschäftige. Er gehöre aber zum Kreis jener

Unabhängigen, die eine Zusarnrnenarbeit rnit der Begründung verweigerten, sie wollten selbständig bleiben. Ob (Name

gestrichen) noch länger zusehen wolle, wie Mr. Winter rnit schöner Regelrnässkeit – sollte wohl Regelmässigkeit heissen -

auch die Deponie in Edgeboro beliefere?

      Nichts Neues, dachte Flühmann.

      Mr. (Name ebenfalls gestrichen): Bei Edgeboro handle

es sich uni eine Deponie, bei der Beseitigungsfirma – im

Fall von Mr. Winter die Confidential Phoenix – nur 50 Cents pro

Kubikyard zu bezahlen brauche, sofern sie es auf einen Etilkettenschwindel anlege. Das mache eine nette Gewinnrnarge,

wenn man berücksichtige, dass ein Industrieunternehrnen

der Confidential Phoenix 50 Dollar – nicht Cents – pro Kubikyard vergüte, in gewissen Fällen sogar das Dreifache. Natürich

lege Mr. Winter stets Endlagerbescheinigungen vor,

die ordnungsgernäss auf eine vorgeschriebene, entsprechend

teure Deponie lauteten.

      Mr. (Name gestrichen) sagt, er habe keine Einwände,

wenn das legal sei. Was mit dem Geld geschehe? Mr. Winter

könne es ja nicht verbuchen oder investieren. Ob es den

üblichen Weg nehme?

      Flühmann griff nach dem Glas, um am Cognak zu nippen.

Er suchte eine heitere Miene zu machen. Als sein Arm den

Kittel streifte, glaubte er die Bündel der Dollarnoten zu spüren.

Eine harte beunruhigende Polsterung. Er merkte, wie

Palmierie ihn musterte, als könnte er ihn durchschauen. Gar

nichts konnte er! Langsam liess Flühmann den Cognak

über Zunge und Gaumen gleiten. Das würde seine Stimmung

aufhellen. Ob an dem Wisch etwas dran war? War das echt?

Hatten sie das gesagt? War’s erfunden? Vielleicht gar beides? Und

wer hatte Verwendung dafür? Die Steuerfahndung in den

Staaten, irgendwelche Schnüffler vom Internal Revenue Service,

ein Beamter der Staatsanwaltschaft in New Jersey? Und

wo stand Palmieri? Fast sah es so aus, als sei das eine Art von

Beglaubigungsschreiben. Was wollte Palmieri damit?

      Mr. (Name gestrichen) antwortet, das Geld würde zuerst

in die Schweiz verschoben und gewaschen. Ob es an

Mr. Winter oder an das Industrieunternehmen zurückfliesse,

nachdem seine Herkunft nicht rnehr festzustellen sei,

könne er nicht sagen.

      Flühmann gab Palmieri das Papier zuriick. Er bemühte sich

ein leeres fragendes Gesicht aufzusetzen.

      „Und was soll das sein?“

      „Es ist aus einer Konferenz. Mit verstecktem Minirecorder aufgenommen.“

      „Von wem?“

      „Von einem der Teilnehmer. Sie werden verstehen,

dass ich keine Namen nennen kann.“

      Vielleicht war’s Palmieri selbst, dachte Flühmann.

      „Und warum zeigen Sie mir das?“

      „Weil es mit Ihnen zu tun hat. Mit Ihnen und ihrer – kleinen Expedition nach New York, Wenn ich das einmal so nennen darf.“

      Flühmann versuchte milde zu lächeln. „Mr. Palmieri“,

sagte er, die Visitenkarte in der Hand haltend, dazwischen

einen Blick drauf werfend. „Sie sind doch Palmieri? Oder ist das

nur der Deckname, hinter dem Sie sich verstecken?“

      „Sicher erwarten Sie nicht, dass ich mich ausweise.“

      „Nein, mir genügt, was Sie drauf zu sagen haben.“ Flühmann

hatte selbst zu oft gefälschte Pässe gesehen oder gar

benutzt, als dass ihm ein weiterer mit Palmieris Foto wirklich

etwas hedeutet hätte.

      „Ich begreife ihr Misstrauen, Mr. Flühmann.“ Palmieri sprach

es erneut wie „Flewman“ aus. „Überlegen Sie selbst.

Warum sollte ich einen Decknamen benutzen, um an jemanden

wie Sie heranzutreten? Nein, so ist das nicht. Sie werden

sehen, dass alles stimmt, was ich Ihnen mitzuteilen habe. Wirklich,

ich habe keinen Grund mich zu verstecken, ich nicht.“

      Flühmann tat, als überhörte er die Anspielung. „Sie sind

das also wirklich – Charles Palmieri, Management Consultant?

Und das ist ihre Karte, nicht die eines anderen?“

      „Well, ich bin Palmieri, auch wenn Sie das enttäuschen

sollte. Es sieht so aus, als hätten Sie gehofft, ich sei’s nicht.“

      “Management Consultant? Sie erwarten nicht im Ernst,

dass ich Ihnen das abnehmen werde?“

      „Warten Sie ab. Manchmal ist es nicht zu vermeiden,

dass man seine Meinung ändert.“

      „Ihre Tätigkeit als Berater – auf was bezieht sich die? Sehen

Sie, ich bin mir nicht schlüssig, worauf sie hinauswollen.

Gehört dieses – dieses sogenannte Tonbandprotokoll zur Art,

wie Sie ihre Tätigkeit als Berater ausüben? Ich denke, das

ist – das ist Unsinn und darauf kann ich verzichten.“

      „Ist das alles, was Sie dazu zu sagen haben?“

      „Ja. Und was Mr. Winter angeht, ich glaube, auch für ihn

ist das entbehrlich. Für uns beide, glaube ich.“

      „Nicht ganz. Die simple Tatsache, dass ich hier sitze und

mich mit Ihnen unterhalte – die zeigt Ihnen, dass es ein

Leck gibt. Ich bin sicher, dass unser Zusammentreffen Sie dazu

zwingt, ihr Verhalten zu überdenken.“ Palmieri lächelte

selbstsicher. „Natürlich sage ich das nur im Scherz. Was meine

Tätigkeit als Berater angeht, so habe ich mit einem

Unternehmen vor allem dann zu tun, wenn es mit dem Kartell

in Schwierigkeiten kommt.“

      Langsam wurde es Flühmann zuviel. „Gehört dazu

auch, dass Sie Mr. Winter raten, seine Bewerbung bei Ford

in Edison zurückzuziehen?“

      „Nein, das betrachte ich als Freundschaftsdienst.“

      „Dabei kennen Sie ihn nicht einmal.“

      „Sehen Sie, als Berater arbeite ich nur, wenn ich dafür

bezahlt werde. Das ist bei Mr. Winter nicht der Fall.“

      „Auch nicht von anderer Seite?“

      „Nein.“

      „Finden Sie nicht, wir sollten das eher als

Einschüchterungsversuch bezeichnen, was Sie Freundschaftsdienst nennen?“

      „Nein, dieser Meinung bin ich überhaupt nicht.“

      „Sie reden Mr. Winter ein, mit seiner Sicherheit stehe es nicht

zum besten, wenn er von diesem Auftrag nicht die Finger

lasse. Das nennt man doch Druck aufsetzen. Dafür könnten Sie

wegen Nötigung drankommen.“

      „Sehe ich so aus?“ Palmieri legte Flühmann beschwichtigend

die Hand auf den Arm. „Keine Angst, ich werde Mr. Winter

nicht im Stich lassen. Ich glaube, Sie verstehen mich falsch. Ich

habe ihm einen Hinweis gegeben, das ist alles.“ Palmieri

machte eine Pause. Dann sagte er: „Ich könnte ihn hopsgehen

lassen.“

      „Wenn das so ist, dann tun Sie’s doch.“ Flühmann schaute

ihm direkt in die Augen. „Niemand hindert Sie daran.“

      „Und was hätte ich davon? Nein, Mr. Flühmann, Sie irren

sich, was mich angeht, bestimmt. Warum sollte ich gegen

Mr. Winter verwenden, was ich gesehen habe.“

      Das ist genau, was er macht, dachte Flühmann. Er zuckte

die Schultern.

      „Nein“, sagte Palmieri. „Was ich mir vorstelle, ist etwas

anderes. Ob Sie mir glauben oder nicht, ich bin interessiert an der Confidential Phoenix. Und mein Interesse – ist echt, das will

ich Ihnen gerade beweisen. Warum können wir nicht zusammenarbeiten? Alles, was ich Sie – was ich Sie bitte,

ist Mr. Winter vorzuschlagen, in meinem Namen – also

was ich vorschlage, ist eine Beteiligung.“

      Flühmann zögerte. „Was soll ich dazu sagen?“

      „Ich denke für’s erste an eine mittlere fünfstellige Summe.“

      „Sie meinen das ernst, nehme ich an.“

      „Absolut.“

      „Tja.“ Das war es also, dachte Flühmann. Dieser Schleimer!

Er wollte kein Schweigegeld, er wollte das Ganze,

unauffällig, in Etappen. Er tönte ungeheuerlich, dieser Vorschlag –

nicht frei von Hast und Verlegenheit, wie Palmieri ihn

unterbreitete, mit einer Stimme, als sei er verspätet und hätte

nur eben nach der Uhrzeit gefragt. Eigenartig, wie

Palmieri seinen Fuss einwärts gedreht hielt. Er hatte einen

leichten schwarzen Lederschuh an, der geradezu

zierlich aussah. Immerhin war Palmieri mittelgross, auch wenn

er aus der Nähe behäbiger wirkte, Weniger kräftig

jedenfalls als wenn er vor einem stand. Um die vierzig mochte

er sein. Ein Kerl, der immer wieder kommen würde – wie

ein Hund, nicht abzuschütteln. Und da war dieser Gedanke, der

in Flühmann aufstieg. Damit aufhören wird der Hund erst,

wenn man ihn aus dem Weg geräumt hat. Mit ruhiger Stimme

sagte Flühmann:

      „Entschuldigen Sie, aber dazu kann ich eigentlich nichts

sagen. Mr. Winter ist der Inhaber, ich muss ihm das unterbreiten.“

      „Tun Sie das. Ich gebe Ihnen vierundzwanzig Stunden

Zeit, wenn wir gelandet sind. Sie geben mir Bericht, ich bin im

Hotel Zürich zu erreichen. Wir können zusammen zur

Bank gehen und alles veranlassen.“

      „Vorausgesetzt, dass er ja sagt.“

      „Das wird er.“

      „Okay, Sie werden von mir hören.“

      Palmieri nahm sein Glas und erhob sich. „Sie möchten sich

sicher noch ein bisschen hinlegen, nicht wahr.“

      Lächelnd kehrte er an seinen Platz zurück.

      Hellwach war Flühmann gewesen, den Kopf voll rotierender Gedanken. Und das in der intimen schlaferfüllten Dunkelheit,

die sich unter den Passagieren um ihn herum ausgebreitet hatte.

Aber eine Lösung war ihm keine eingefallen. War er nun

zu sehr auf Palmieri eingegangen? Zum Schein, ja. Ebenso klar

war Flühmann aber auch: Was der Kerl verlangte, war

unmöglich. Es war dasselbe alte Spiel. Gib ihm den kleinen Finger,

dann nimmt er die ganze Hand. Auf Palmieris Vorschlag

einzugehen, war Selbstmord in Raten, da gab es für Flühmann

keinen Zweifel. Ausgerechnet ihn hatte Palmieri als

Mittelsmann nehmen müssen. Wäre das nicht zu vermeiden

gewesen? Vor allem missfiel Flühmann die Spur, die

so direkt nach Zürich führte. Nicht nur Jeff, auch er hatte einen

Fehler gemacht. Bis zuletzt hatte Flühmann erwogen,

ob er nicht statt eines Direktflugs den Umweg über London

noch einmal in Kauf nehmen wollte. Oder die Filiale

der Schweizerischen Kreditanstalt in Toronto? Natürlich ärgerte

es Flühmann, dass er sich für den Direktflug entschieden

hatte. Andererseits durfte er das nicht überschätzen. Vielleicht

kannte Palmieri seine Adresse in Kilchberg gar nicht.

Noch nicht. Im Telefonbuch jedenfalls würde er sie nicht finden –

in Zürich sowenig wie in den umliegenden Gemeinden.

Der Anschluss war unter Vilmas Namen eingetragen. Indermauer,

nicht Flühmann. Etwas Zeit würde Palmieri vermutlich

schon brauchen.


„Ladies and gentlemen!“ Es war die Stimme der Stewardess,

aber sie kam über den Lautsprecher. „Please refrain from smoking

and place your seat back in the upright position. Thank you.“

      Flühmann riss den Kopf hoch.

      Die Augen waren ihm zugefallen. Er drehte sich zur

Fensterluke, um ein Stuck Landschaft zu erhaschen, rechteckige sattgelbe Felder, schwarze bewaldete Hügel, verstreute

Häuser, einer geraden Strasse entlang. Flühmann spürte den

Nachtflug in seinen Knochen. Alles müde, verkrampft.

Er wartete gespannt auf den Moment, in dem die Boeing 747

auf die Landepiste aufsetzte. Stets bist du gern wieder

auf den Boden heruntergekommen, dachte Flühmann. Dieses Mal

ist es anders. Du hast Palmieri im Nacken. Zur Bank kannst

du auf keinen Fall, bevor du nicht überzeugt bist, den Kerl los zu

sein. Sicher war es auch besser, wenn er mit dem Auto

nicht gleich nach Hause fuhr.


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