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KAPITEL V



               Fritz Hirzel, Komplize, Roman. Bei Limmat erschienen

               unter dem Titel Schindellegi, Paperback, 308 Seiten,

               Zürich 1988.


Was war das? Bob kam aus der Hocke hoch. Ein

Schwindelgefühl? Bob hatte die Schürze umgebunden, die Fränzi

ihm gegeben hatte. Er nahm die Gläser aus dem

Geschirrspüler und reihte sie auf einem Tablett auf. Nein,

er fühlte sich nicht gut. Es war ihm nur recht, wenn

nicht allzu viel los war. Zwei Männer sassen am Ende

der Theke.

      „Dich hinter der Grundlinie verstecken und eine

Abwehrschlacht liefern“, sagte der Mann mit dem Bart vorwurfsvoll. „Solche Bälle musst du lang spielen. Und ans Netz

vorrücken.“

      Dr. Gränicher? Bob war nicht sicher. Oder hat Fränzi

gesagt, er heisst Aebischer? Bob nahm Teller und Tassen, die

vom Mittagessen noch herumstanden, füllte sie in den

Geschirrspüler und setzte ihn in Betrieb. Unglaublich, wie er hier

bereits herumhantierte. Das Heftpflaster an Bobs Hand

war nass geworden. Die Wunde schmerzte leicht.

      „Es ist die Unsicherheit“, gab der Mann mit der Brille zur

Antwort. Er hatte ein Lächeln aufgesetzt. Hartnäckig.

Irgendwie selbstgefällig. „Plötzlich sind bei mir die alten Fehler

wieder da. Statt mich aufs Spiel zu konzentrieren,

studiere ich den Bällen nach, die ich verpatzt habe. Was ist aus

meiner sicheren Rückhand geworden, frage ich mich.“

      „Neinneinnein!“, rief der Bärtige. „Du musst die Schwäche

des Gegners ausnützen. Nicht an deine eigene denken.“

      Seine Frau war hinzugetreten.

      Der Brillenträger trank das Glas aus. „Ein Risiko zuviel und

mir fangen die Nerven an zu flattern.“

      „Das Entscheidende, das ist wie überall –“ Der Mann

mit dem Bart kraulte sich. „Das Entscheidende ist der Riecher.

Du musst wissen, wann du zuschlagen musst.“

      „Ist es das, was sie neuerdings Killerinstinkt nennen?“

      „Das kannst du nennen, wie du willst, aber –“

      „Machst du jetzt ein bisschen vorwärts“, unterbrach ihn

seine Frau. „Essen müssen wir doch auch noch.“ Sie

hatte sich ein müdes Lächeln abgerungen. Sie eilte Richtung

Garderobe davon.

      Ihr Mann war verstummt. Er sass mit traurigen

Hundeaugen da.

      „Naja“, sagte sein Begleiter. „Bis morgen also.“

      „Das geht auf mein Konto. Beides“, sagte der Bärtige.

„Für Dr. Gränicher.“ Bob nahm die Kassazettel – zwei Rivella

blau, und steckte sie auf einen Nagel, zu einem halben

Dutzend anderer.

      Die beiden Männer räumten das Feld. Der Gemeinschaftsraum – Sitzgruppen, Cheminée und Theke – war jetzt leer. Bob legte

die Schürze ab. Durch das offene Schiebefenster gelangte man auf

die Terrasse hinaus. In der Sonne hockte noch immer

der Greis, der eingenickt war und schnarchte. Bob blickte über

ein halbes Dutzend Tennisplätze. Unaufhörlich drang

der Aufprall der Bälle herüber.

      Das Telefon läutete. Es verstummte. Es begann erneut

zu läuten. Bob ging hinein. Er trat hinter die Theke und nahm ab.

      „Klubhaus. Bob Franey.“

      „Hören Sie“, sagte der Mann am anderen Ende.

„Ich suche in einer – uh, it’s important, you know. Ich suche Mr. Flühmann.“ Er sprach es aus wie „Flewman“. Er hatte eine

gewandte, nicht unangenehme Stimme, auch wenn sie sich müde

und gespannt anhörte. Irgendwie erinnerte er Bob an einen

Coach der Yankees während seiner Collegezeit. „Ist Mr. Flühmann

– ist er gerade bei Ihnen?“

      „Mr. Flühmann?“ Fast hätte Bob gesagt, er suche

den Mann selbst. „Ich habe ihn heute Nachmittag im Klub noch

nicht gesehen. Wer ist am Apparat bitte?“ Der Mann hatte

eingehängt.


„Bob?“ Es war Fränzi, die aus dem Vestibul rief. „Hast du rasch

Zeit? Ich will dir etwas zeigen.“

      Er wischte sich die Hände ab und trat zu Fränzi hinaus.

Zusammen nahmen sie die Treppe hinunter ins

Untergeschoss. Hier befand sich der Garderobentrakt,

aber Fränzi ging daran vorbei. Aus einem der Duschenräume

hörte man das Wasser rauschen. Vielleicht kommt

Flühmann doch noch, dachte Bob. Hat der Mann eingehängt,

weil er seinen Namen nicht sagen wollte?

      Sie waren zuunterst an der Treppe angekommen.

Fränzi öffnete eine Tür, trat ein und machte Licht. Der Raum

hatte Kellerfenster, war aber mit Spannteppich ausgelegt.

Um einen grossen rechteckigen Tisch herum standen mehrere

Klappstühle. Zuvorderst auf dem Tisch war ein

Aschenbecher postiert, quadratisch, aus massivem Glas.

Überall lagen Krümel, Brotresten, Einwickelpapier.

Ein Brotmesser. Bob lächelte ängstlich. In Gedanken war

er noch immer beim Toten im Abbruchhaus.

      „Mein Gott, wie es hier unten aussieht!“ Fränzi fuhr

mit der Hand durch’s Haar. „Was hast du gesagt?“ fragte sie.

      „Nichts.“

      Die Depression ergriff Bob erneut; bittere Wut, Empörung

und Angst mischten sich zu einem Knäuel unsinniger

Fantasien. Bob hatte das erdrückende Gefühl, seinem Vater

begegnet zu sein – in Hermann Zimmerli, im Mann im

Tweedmantel, wer immer es gewesen sein mochte, der auf

dem Holzboden gelegen hatte, mit eingeschlagenem

Schädel, die Beine gestreckt. Ein toter Hund, ein tollwütiger.

Vater? Er hatte ihn liegen gelassen. Wie du mir, so ich

dir. Der Mann im Grütli war ohne Hoffnung gewesen, kaputt,

isoliert, gestrandet. Bob schluckte. Es würgte ihn. Es

war diese Nähe, die Bob irritierte. Hatte nicht auch er sich von

allem losgesagt, was es an verbindlichen realistischen

Dingen für ihn gegeben hatte? Bob fühlte sich schrecklich

isoliert und missachtet. Das alles hatte er gern Fränzi

gesagt, aber er konnte nicht. Es hatte sich keine Gelegenheit

ergeben. Und jetzt? Nein, das war sicher nicht der

Augenblick. Idiot! Lass dich nicht täuschen! Es kam Bob vor,

als blickte Fränzi ihn merkwürdig an, fast belustigt.

Sie sagte:

      „Also siehst du, das hier – das ist also das Mannschaftszimmer. Hier machen sie ihre Sitzungen. Und wie du auf dem Tisch

da siehst, mache ich hier auch die Sandwiches.“

      Unmöglich, dachte Bob und nickte. Er konnte es Fränzi

nicht sagen. Sie war zu beschäftigt. Er hatte Zweifel,

ob Fränzi überhaupt begreifen konnte, warum er ins Abbruchhaus

hatte zurückgehen müssen. Und wenn ich ihr sage, dass

ich ihn gefunden habe – den alten Mann, tot? Kann ich damit

rechnen, dass sie mir glaubt? Bob kratzte am Kopf.

Gestern Nacht hatte Fränzi ihn mit unverhohlener Skepsis

angesehen, als er mit der Wunde an der Hand zurückgekommen

war. Muss sie nicht erst recht misstrauisch werden,

wenn ich ihr jetzt damit komme, der Mann sei umgebracht

worden? Im schlimmsten Fall konnte Fränzi annehmen,

ich hätte das in der Nacht bereits gewusst und ihr verschwiegen,

weil ich – weil ich selbst der Täter bin? Verrückt, dachte

Bob. Wie komme ich darauf?

      „Bob, sieh mich nicht so an!“, sagte Fränzi unvermittelt.

„Hier also, was ich dir zeigen will, ist das hier.“ Sie wandte sich

der Gefriertruhe zu, die hinten an der Längswand stand,

breit, sicher zwei Meter lang. „Sie hat in der Vorratskammer

keinen Platz, drum steht sie halt hier unten.“ Fränzi

öffnete. Auch Bob trat hinzu. „Ist alles tiefgefroren hier. Die

Eiscreme findest du da drüben. Das sind Jolly. Okay.“

      Sie hatte einen der Kartons aufgerissen und reichte

ihn Bob.

      „Und jede Menge Fleisch hast du hier.“ Bob sah die

Koteletts und Steaks, die ihm geradezu abstossend vorkamen,

im Dutzend eingeschweisst, pickelhart gefroren. Daneben

Bratwürste in Grosspackungen, Servelats. Trotzdem war die Gefriertruhe nicht einmal halbvoll.

      „Naja. Es geht. Ein paar Brote hat’s hier auch immer.

Jesses, da ist ja noch ein Gugelhopf.“ Fränzi nahm ihn heraus.

„Wetten, dass er den Abend nicht übersteht?“

      „Lieber nicht.“

      „Jetzt kannst du einmal sehen, wie unsere Mitglieder

an einem Gugelhopf vorbeikommen – die mit ihrer Diät und was

weiss ich. Übrigens, die Schulthess hat sich nach dir

erkundigt.“

      Bub wusste nicht, ob er geschmeichelt oder entsetzt

dreinblicken sollte. „Nach mir?“, fragte er.

      „Erwähne bloss nichts von Schreiben und selbständig und

so. Ich hab ihr gesagt, du arbeitest – auf einer Bank.

Weisst du, was die Schulthess mir zur Antwort gegeben hat?

,Hab ich’s mir doch gedacht.´ Sie war geradezu entzückt.“

      Bob verzog den Mund zu einem gequälten Lächeln.

Der Gedanke war ihm geradezu widerwärtig. Er in einer Bank!

Mit dem Besitzstand der Vermögenden betraut!

      „Du, ich –“

      „Du bist gewarnt, mein Lieber.“

      Fränzi schloss die Gefriertruhe. Sie warf Bob einen

Blick zu. Eher neckisch als ernst.

      „– ich bin nicht, was Sie sich vorstellt“, sagte Bob.

„Ein Bankangestellter.“

      Fränzi legte ihren Arm um seinen Nacken. Plötzlich

küsste sie Bob, schmiegte sich an ihn, bereit zu einer

entschlossenen heftigen Umarmung, mit der Zunge seinen Mund

bedrängend. Und ebenso plötzlich liess sie von Bob ab.

      „Fränzi, ich –“

      Bob war völlig überrascht. Er hatte Fränzi den Arm

um den schmalen Rücken gelegt. Es fiel ihm nichts ein als der

abstruse Gedanke, er könnte sie beide jetzt wie von

aussen sehen – Fränzi mit dem Gugelhopf, sich selbst mit

der Eiscreme-Schachtel. Wie er diese Berührung

herbeigesehnt hatte! Aber jetzt, wo sie geschah, erlebte

er sie als etwas Fremdes, das auf ihn zukam, als

stünde er da – unberührt, wie ohne Körper, voller Abwehr.

Das hier war Fränzi. Es gab nicht nur dieses Fangnetz

der Ahnungen, Zweifel und Ängste, es gab auch diese Umarmung,

mit der Fränzi bewies, dass sie ihn nicht fallenlassen

wollte, im Gegenteil. Bob sagte:

      „Du – du machst mich ganz anders.“

      „Du mich auch.“

      Fränzi fuhr ihm mit dem Zeigefinger über die Lippen.

Sie sah Bob nachdenklich an. Nein, nicht zum

Schweigen verpflichten, aber – ja, was? fragte sich Bob. Ist das

jetzt das Geheimnis, das uns verbindet, dieses Geheimnis,

das mir wie ein Versprechen vorkommt? Fränzi akzeptiert mich.

Ich halte sie in meinem Arm, nicht zärtlich genug, aber

doch so, als gäbe es nichts mir zu misstrauen.


„Endlich!“, rief Olivia, die Kleine der Von Orellis, als sie Bob

durch die Türe kommen sah. Seit einer halben Stunde

motzte sie an der Theke herum. „Mein Mami hat gesagt, ich

darf ein Jolly haben.“

      „Hier hast du dein Jolly.“

      Bob gab ihr einen Eisstengel. Die anderen brachte

er im Kühlschrank unter. Ob Flühmann heute noch kommt?

Irgendeinen Grund muss es doch geben, dass einer

ihn hier am Telefon verlangt. Und erst noch einer, der einfach

so einhängt. Das war alles andere als durchsichtig. So

wenig wie die Rechnung, die Bob beim Toten gefunden hatte.

      „Hey, Bob!“ Olivia winkte. Sie liess die Papierhülle

zu Boden fallen. Sie hatte es geschafft, auf einen der Barhocker hinaufzukommen, wo sie vergnügt am Stengel lutschte

und mit den Füssen baumelte. Sie fragte:

      „Können Sie Tennis, Bob?“

      Das kleine Biest. Bob sagte:

      „Dazu hab ich keine Zeit.“

      Olivia sah ihn ungläubig an. Hatte sie die Verlegenheit

bemerkt, die aus seiner Antwort sprach? Keine Zeit. Bob ärgerte

sich. Es war eine dumme Ausrede. Warum konnte er

nicht sagen, dass er bisher ohne Tennis ausgekommen war?

      „Aber für anderes haben Sie Zeit.“ Olivia kicherte.

Sie grunzte. „Ich weiss, was Sie machen, wenn Sie mit Fränzi

im Mannschaftszimmer sind.“

      „Kann sein, dass du mehr weisst als ich.“

      Olivia rutschte auf dem Hocker. „Schmusen tut ihr

miteinander.“

      Fränzi lächelte. Sie warf Bob einen Blick zu. Es war

zu albern. Die Kleine hatte sie bestimmt nicht gesehen. Was für

eine Nervensäge! War es das, was Franzis Augen

sagen wollten?

      „Was erzählst du da?“ Fränzi kam hinter der Theke

hervor. „Damit wir uns recht verstehen, hier kannst du nicht

jeden Stuss daherreden.“

      „Selber Stuss!“ Olivia kicherte. Ihr kindliches Gesicht

triumphierte. „Stuss! Stuss! Stuss! Ich glaube, ihr habt gevögelt.“

Sie kletterte vom Barhocker herab. „Mir kann niemand

etwas verbieten. Nicht einmal mein Mami. Und schon gar

nicht Sie.“

      „Nein?“ Heiner stand in Olivias Rücken. Er war eben

erst eingetreten und musste die letzten Worte noch mitbekommen haben. „Ich werd dir den Mund stopfen. Mit Tennisbällen!“

      „Spielverderber.“ Olivia brach den Stiel entzwei.

Sie hatte ihn leergeschleckt. Sie warf die zwei Hälften zu Boden

und trollte sich.

      Heiner liess sich oben an der Theke nieder. Dunkle

Augen, ein volles Gesicht. Der Kopf kräftig, rundlich, das Haar kurzgeschnitten. Unter der Trainerbluse ein weisses

Hemd. Ein bulliger Typ.

      Bob ging zu ihm hin.

      Heiner sagte: „Bier, Servelat, Brot. Dazu brauch ich

Senf und Ketchup. Die Servelat auf einem grossen Teller, mit

Messer und Gabel.“

      Eine Bestellung, klar und bestimmt. Bob stellte die Dinge zusammen. Heiner war ihm als Platzwart vorgestellt

worden. Gleich, als Fränzi sie miteinander bekanntgemacht

hatte, war Bob überzeugt gewesen, dass er mit Heiner

auskommen würde. Und siehe da.

      „Soll ich dir einen Salat machen?“ Fränzi sah belustigt

zu, wie Heiner mit grossem Ernst Ketchup und Senf zu mischen

begann.

      „Wenn du einen wie gestern zustande bringst.“

      „Mit Zwiebeln?“

      „Ja–ah.“

      Fränzi hatte Bier nachgeschenkt. Sie räumte Heiners

Flasche weg. Zu Bob sagte sie: „Kannst du darauf

achten, dass du solche Flaschen jeweils gleich versorgst.

Weisst du, genau genommen –“

      Nein, Bob – Er hatte die Schultern gezuckt. Fränzi musste

lachen. Sie streifte ihn mit der Hand am Arm.

      „– genau genommen, weisst du, dürfen wir hier gar keinen

Alkohol ausschenken.“

      Ein schmaler sonnengebräunter Mann war eingetreten.

      „Sind Sie dabei Ihren neuen Mitarbeiter einzuführen?“ fragte

der Mann. Er war mit Veston und Sommerhose bekleidet.

      „Das ist Bob“, sagte Fränzi. „Er wird in den nächsten

Tagen hier ein bisschen aushelfen. Und das ist Herr Zurnsteg.

Er ist im Klub Geschäftsführer.“

      „Sehr gut.“ Zumsteg machte keine Anstalten Bob

die Hand zu geben. Er setzte sich in gemessenem Abstand

zu Heiner auf einen der leeren Barhocker und atmete

prustend aus, wobei er sich mit der Hand Luft zufächerte. „Einen Espresso, bitte.“

      Bob füllte die Filterkappe mit Pulver, machte einen

Griff fest und setzte die Kaffeemaschine in Gang, nachdem er eine

Espressotasse untergestellt hatte. Shit! Wieder war Bob

mit der Hand angeschlagen.

      Heiner hatte sich zu Zumsteg umgedreht. „Hat wieder

jemand Platz vier unter Wasser gesetzt über Nacht.“

      „Saladin ist der letzte gewesen, der drauf gespielt hat.“

      „Er will’s bestimmt nicht gewesen sein.“

      „Das glaub ich auch.“ Zumsteg nahm die Sonnenbrille

ab. Er lächelte, als Bob ihm den Espresso brachte. „Sie

können froh sein, dass Sie mit der Feier heute Abend nichts

zu tun haben.“

      Eine Feier? Bob blickte verständnislos, aber anscheinend

hatte das gar nicht ihm gegolten.

      „Bin ich auch“, rief Fränzi aus der Anrichte, wo sie

gerade Salat umrührte.

      Oben an der Theke vertilgte Heiner stumm die zerteilte

Servelat. Ein hingebungsvoller Esser. Erst, als Heiner

mit der Wurst fertig war, sagte er über die leeren Barhocker

hinweg, die ihn von Zumsteg trennten:

      „Ich hab dann für heute Abend noch ein Gedicht parat.“

      Zumsteg stellte die Tasse ab.

      „So? Und wie heisst das Gedicht?“

      „Der Platzwart.“

      Ein gequältes Grinsen ging über Zumstegs Gesicht.

Heiner beugte sich über den Salat, den Fränzi ihm gebracht

hatte. Er strahlte vor Genugtuung.

      Plötzlich hatte Zumsteg es eilig.

      „Können wir den Wein noch anschauen?“, fragte er Fränzi.

„Er steht drüben in der Vorratskammer.“

      „M–mh.“ Fränzi tippte die Kasse auf, nahm den Schlüssel

und ging voran. Zumsteg, sichtlich erleichtert, folgte ihr.

      „Das ist ein Klub, das!“

      Heiner hatte das mehr zu sich selbst als zu Bob gesagt.

Er war mit dem Essen fertig, blieb aber noch sitzen.

      Das Telefon läutete. Bob nahm ab.

      „Hier ist Charles Palmieri.“

      Es war der Amerikaner, der vorhin eingehängt hatte.

      „Ich glaube, ich habe mit Ihnen vor einer halben Stunde

gesprochen. Wir wurden leider unterbrochen, you know.

Können Sie einmal nachsehen, ob Mr. Flühmann inzwischen

da ist?“

      Unterbrochen? Bob glaubte, nicht recht zu hören.

Er sagte: „Ich weiss, ich weiss – aber mehr kann ich Ihnen

nicht sagen, verstehen Sie. Mr. Flühmann ist nicht da,

und etwas Neues – nein, wirklich, etwas Neues hab ich für

Sie nicht.“

      „Einen Moment, bleiben Sie dran –“

      Es knackste. Heiner hatte sich erhoben. Bob wandte

sich um, hob die Hand und machte ein Zeichen. Heiner sagte:

„Ciao.“ Er ging auf die Tür zu, hinaus ins Vestibül.

      „– wie sagten Sie, ist ihr Name?“

      „Franey. Bob Franey.“

      „Amerikaner, hm? Aus New York, richtig?“

      „Newark, New Jersey.“

      „Genau wie ich. So ein Ding. Sie sind der erste Mann,

den ich ans Telefon bekomme, nachdem ich hier drüben aus dem

Flugzeug steige. Wissen Sie das?“

      „Sieht aus, als hätten Sie’s –“

      Bob musste lachen.

      „– als hätten Sie’s nicht schlecht getroffen.“ Eigentlich

wollte er gar nicht lachen. Es war die Stimme, die Sprache. Hier,

in diesem Klub. Habe ich sie vermisst? Der Mann hatte

ihn trotz allem gerührt, und so unmöglich fand Bob ihn gar nicht. Charles Palmieri, Newark, New Jersey. Was will er hier?

      „Sehen Sie, ich suche Mr. Flühmann dringend. Ich hoffe,

es stört Sie nicht, wenn ich später nochmals anrufe – ich meine,

falls er noch vorbeikommt.“

      „Wenn Sie mir Ihre Nummer dalassen, kann er Sie

zurückrufen. Ich werd’s Mr. Flühmann sagen, sobald ich ihn sehe.“

      „Meine Nummer, das ist –“

      „Moment, ich hab keinen Bleistift und nichts.“

      In der Nähe des Telefons suchte Bob vergeblich. Er legte

den Hörer weg, trat an die Theke und riss die Schublade neben

der Kasse auf. Unter einem Telefonverzeichnis der

Klubmitglieder fand er den offenbar einzigen Kugelschreiber.

Sogar ein Notizblock war da. Bob, wieder am Telefon,

schrieb die Nummer auf, die Palmieri ihm gab.

      „Wirklich, sehr freundlich von Ihnen.“

      „Nichts zu danken.“

      Bob hatte aufgelegt. Er fügte zur Nummer Palmieris Namen

hinzu. Dann ging er zur Schublade zurück, nahm das

Mitglieder-Verzeichnis und suchte Flühmanns Telefon-Nummer.

Er nahm ein separates Blatt, schrieb die Nummer heraus

und notierte jene von Palmieri dazu. Den ersten Zettel legte

er neben die Kasse, den zweiten faltete er und steckte

ihn ein.

      Fränzi kam zurück, auf dem Teller den angeschnittenen

Gugelhopf, den sie in die Vitrine stellte.

      „So, jetzt muss ich einmal sitzen.“ Sie nahm auf einem

der Barhocker Bob gegenüber Platz. „Kannst du mir mein Glas herübergeben? Gleich dort – ja, hinter der Kasse.“

      „Hat’s mit dem Wein geklappt?“

      „Es sieht so aus. Wir müssen nur sehen, dass wir

wegkommen, bevor es hier losgeht mit diesem Fest. Willst du mit

mir zurückfahren, Bob? Wir konnten bei mir nachher noch

etwas essen und trinken, wenn du magst.“

      „Doch, find ich eine gute Idee.“ War das eine Einladung,

die im Mannschaftszimmer – was für ein klägliches, unpassendes

Wort! – begonnenen Zärtlichkeiten fortzusetzen? Bob gab

sich vollkommen ruhig, aber innerlich spürte er es hämmern, so aufgeregt war er. Doch alles, was er sagte, war: „Hab ich

etwas, auf das ich mich freuen kann.“

      „Ist es so schlimm?“

      „Nein. Ich hab das nur so gesagt.“ Bob war überzeugt,

dass er es hier im Klub aushalten konnte, das war es nicht. Mit

halb lächelndem Gesichtsausdruck blickte Fränzi zu ihm

herüber. Beim Schiebefenster kamen einige Leute von der Terrasse

herein. Ihrem Geplauder entnahm Bob, dass sie in angeregter

Stimmung waren. Bevor sie die Bar in Beschlag nehmen konnten, beugte Fränzi sich über die Theke und fügte mit demselben,

halb lächelnden Gesichtsausdruck hinzu:

      „Du meinst, du hättest es schlimmer treffen können?“

      „Ja.“ Bob fragte sich trotzdem, was er in diesem Klub noch

suchte, nachdem seine Spur ihn ins Abbruchhaus geführt

hatte. An Flühmann herankommen? Herausfinden, wie jene Welt

mit dieser zusammenhängt? Bob zweifelte. Er stand hinter

der Theke. Er bedauerte, seine Schreibarbeit liegen gelassen

zu haben. Er würde es büssen müssen, das wusste

er. Es war wichtig, jeden Tag zu schreiben. Nicht aus der

Übung zu kommen. Aber diesmal war der Unterbruch

schlimmer als früher. Bob bückte sich. Der Kugelschreiber war

zu Boden gefallen.

      „Nein, ehrlich?“, fragte einer der Männer, die in Begleitung

ihrer Frauen an die Theke traten. Sie installierten sich in der Nähe

der Vitrine. Fränzi hatte sich erhoben. Der Mann sagte:

      „Dann wlllst du also morgen fahren, Vilma?“

      Bob erhob sich. War das nicht Flühmann, der vor ihm

stand? Leichte helle Kleidung. Das Hemd offen. Eine Haarsträhne

im Gesicht.

      Die Frau neben ihm nickte. Sie hatte langes braunes

Haar, das sie zurückwarf. „Weisst du, Max –“

      Das musste Vilma sein, dachte Bob. Sie hatte ein weisses

Lacoste-Leibchen an, der hellgelbe Faltenjupe

drehte sich.

      „– Jacqueline ist dann gerade weg. Annie hat sie gefragt,

ob wir ihre Wohnung haben können.“

      Flühmann wirkte eher vergnügt. Bob konnte seine

makellosen weissen Zähne sehen. War das Annie, die neben

Vilma stand? Sie strich mit der Hand über ihr Polohemd,

das lilafarben war und ihre blasse Haut betonte.

      „Ja, das hab ich“, sagte sie munter. „Jacqueline meinte,

sie wäre ganz froh, jemanden in der Wohnung zu wissen. Darum

habe ich Vilma vorgeschlagen, die Reise um ein paar Tage

zu verschieben. So ist das, mon cher Max.“

      Annie bestellte café creme. Das gleiche taten Vilma und

Flühmann. Bob stand mit den Tassen noch bei der

Kaffeemaschine, als Fränzi ihm zurief:

      „Und was ist das?“

      In der Hand schwenkte sie den Zettel mit Palmieris

Nummer. Dabei hatte sie die Theke voller Wartender. Bob wollte

das selbst erledigen. Er sah eine Möglichkeit, an Flühmann heranzukommen.

      „Ach, das ist nichts“, sagte er.

      Fränzi zerknüllte den Zettel und warf ihn in den Abfalleimer.

      Nein, dachte Bob. Er spürte einen jähen scharfen

Schmerz in seiner Wunde. Diesmal hatte er mit der Hand

nirgends angestossen. Ob es nicht klüger war, die

Sache mit Palmieri zu vergessen?

      „Bob? Kannst du mir drei Stück Gugelhopf abschneiden?“

      Fränzi schmunzelte.

      „Gleich.“ Bob nahm zwei Tassen, um sie hinüberzutragen.

      Ein wenig unkonzentriert, wie Flühmann dastand.

      „Und wie lange wollt ihr bleiben?“ Sein Blick war erst auf

Vilma, dann auf Annie gerichtet, aber er sah keine von beiden

wirklich an.

      „Drei, vier Tage, denke ich“, sagte Vilma.

      „M–mh.“ Flühmann hatte den Blick in seine Agenda

gesenkt. Unwillkürlich fragte sich Bob, ob Vilma oder Annie je

einmal von Palmieri gehört hatten. Er holte den Kaffee,

der noch fehlte.

      Annie rührte um. „Ich freu mich richtig. Weisst du, Kurt

hat mir davon erzählt.“

      „Von Manet? Von der Ausstellung?“ Flühmann hob sein

rundliches fein geschwungenes Kinn. Er hatte die Tasse

herangerückt.

      „Ja. Und anderes mehr.“

      Nach Paris also ging die Reise. Bob sah besorgt auf das

Heftpflaster an seiner Hand, das dunkel gerandet und

unansehnlich geworden war. Er hatte mit Fränzi über Manet

und die Ausstellung gesprochen, aber sie hatte gesagt,

im August sei Paris voller Touristen. Warum fiel ihm das jetzt

ein, gerade gut genug, sich erhaben zu wähnen?

Dachte er das vielleicht nur, weil er selbst gern nach Paris

gefahren wäre? Ihm würde niemand eine Wohnung

anbieten, die gerade frei war. Bob spürte erneut den Abstand,

der ihm mit einem Mal unheimlich gross vorkam, den

Abstand zwischen ihm und dieser Klubhauswelt, dieser Mischung

aus Geld und geheuchelter Bescheidenheit oder sollte

man sagen: Sparsamkeit, Knausrigkeit?

      Bob öffnete die Vitrine, um den Gugelhopf herauszunehmen.

Fränzi hatte ihn im Mikrowellenherd aufgetaut. Geradezu

appetitlich sah er aus! Bob nahm ein Stück herunter und griff

nach dem Messer für die anderen zwei.

      In einer plötzlichen Regung von Zärtlichkeit lehnte Vilma

sich an Flühmann. Sie küsste ihn auf die Backe.

      „Und du? Du musst unheimlich müde sein.“

      „Ein bisschen überdreht“, sagte Flühmann beschwichtigend.

„Das geht vorbei. Weisst du, ich muss sowieso nach

Hause. Ich erwarte noch einen Anruf.“

      Bob hatte aufgehorcht. Er stellte den Gugelhopf zurück.

Ob das Palmieris Anruf war, den Flühmann erwartete?

Jetzt konnte er ihm sagen, dass jemand zweimal nach ihm

gefragt hatte. Etwas hinderte Bob, es zu tun. Irgendein

Gefühl der Ablehnung, des Misstrauens, das er spürte, als sei

die Theke zu einer Barriere geworden, die Flühmann

und dessen Welt von Bob trennte.

      „Gut, Vilma.“ Flühmann schaute auf die Uhr. „Wenn du noch

bleiben willst, kein Problem. Ich geh dann schon voraus.“

      „Wo denkst du hin“, widersprach Vilma. „Ich komm mit dir.“

Sie hatte ohnehin ausgetrunken.

      „Kann ich dir die Fotos noch mitgeben?“ Auch Annie war aufgestanden. „Ich hab sie in der Garderobe unten.“

      „Ich komm rasch mit.“ Und zu Flühmann sagte Vilma:

„Wartest du draussen auf mich?“ In raschen, leichten Schritten

ging sie mit Annie hinaus.

      Bob nahm die drei Stück Gugelhopf und brachte

sie Fränzi. Dann tippte er die drei Kaffees ein und legte die

Kassazettel Flühmann vor, der sie schwungvoll signierte.

      „Stecken Sie’s da drüben an den Nagel.“ Flühmann war aufgestanden. „Das bin ich.“ Er wandte sich zum Gehen.

      Jetzt! Das war die Gelegenheit, und im selben Augenblick

hatte Bob eine Idee, die ihn restlos überzeugte. Nicht

den Anruf würde er Flühmann ausrichten, nein! Er würde

ihm die Rechnung mit den Teppichen zeigen, die auf Flühmanns

Namen lautete. Er trug sie auf sich. Ein verräterisches

Beweisstück. Nichts anderes konnte sie in seinen Augen sein.

Flühmann war bereits auf dem Vorplatz vor dem Klubhaus

angelangt, als Bob ihn einholte.

      „Herr Flühmann! Herr Flühmann!“

      Unwillig drehte Flühmann sich um.

      „Ich glaube, Sie haben etwas vergessen.“

      Flühmann blickte ungläubig. Bob hielt die Hand

ausgestreckt. Flühmann nahm die Rechnung, als hätte Bob

sie soeben aus dem Staub aufgehoben.

      „Wo haben Sie das her?“

      „Ich glaub, Sie haben’s an der Theke liegen gelassen.“

      Das war ungeschickt. Bob wusste es. Sich auf plumpe

Art anzubiedern! Es war zu offensichtlich gelogen. Andererseits

hielt Bob es für zu früh, mit der Wahrheit herauszurücken.

Er konnte nicht sagen, wo er die Rechnung herhatte. Hätte das

nicht ein schiefes Licht auf ihn selbst geworfen?

      „Ach ja. Vielen Dank.“

      Flühmann steckte die Rechnung ein, als hätte er sie

tatsachlich im Klubhaus liegen gelassen. Dieser Lügner! Glaubte

er, auf so billige Art davonzukommen? Es war nicht einmal herablassend, wie Flühmann es gesagt hatte. Bob spürte die Wut,

die in ihm hochstieg. Er würde Flühmann die Wahrheit

über diesen Wisch verabreichen, dosiert wie ein langsam, aber

stetig wirkendes Gift! Bob sagte:

      „Sie sind sicher, dass Ihnen das gehört? Ich dachte

zuerst, es ist jemand anderer gewesen, der es liegen gelassen

hat. Ein alter Mann oder wer – aber dann hab ich

gesehen, dass ihr Name draufsteht. Sie sind doch Herr

Flühmann?“

      „Ein alter Mann? Nein, das ist schon in Ordnung.“

      Bob lachte verächtlich. Dachte Flühmann, er könnte das

mit einem faulen Trick erledigen? Glaubte er, Bob sei

auf ein Trinkgeld aus? Da irrte er sich aber. Für Bob war das

hier nur der Anfang.

      „Sie heissen Bob? Und wie noch?“

      „Franey.“

      „Ach ja?“ Flühmann lächelte leise. Mit erschöpftem

Gesichtsausdruck stand er in der Sonne, strich sich

die Haarsträhne aus der geraden Stirn und sagte: „Wir müssen

uns einmal in Ruhe unterhalten, aber nicht jetzt.“

      Das war auch alles. Wirklich? Bob fühlte sich enttäuscht,

in seinen Erwartungen betrogen. Mich derart abzufertigen! Schon

sah er Vilma, die mit Annie aus der Eingangstür kam.

Sie trat eilig zu Flühmann hinzu.

      „Wir können“, sagte sie.

      Flühmann ging mit den zwei Frauen auf die parkierten

Autos zu. Bob blieb stehen. Er blickte ihnen nach. Er wandte

sich ab. Er hatte eine solche Wut! Im Vestibül betrat

er die Telefonkabine und wählte die Nummer, die Palmieri

ihm gegeben hatte.

      „Hotel Zürich. Einen Augenblick bitte.“

      Palmieri wirkte herzlich, fast besorgt. Er schien keineswegs

überrascht, Bob am Apparat zu haben.

      „Haben Sie Mr. Flühmann gesichtet?“

      „Er ist leider nicht mehr gekommen.“ Bob glaubte es beinahe

selbst. „Das wollte ich Ihnen noch sagen.“

      „Das ist sehr nett von Ihnen, sehr nett, Wirklich. Darf

ich –“ Palmieri brach ab, als überlegte er sich die Worte sehr

genau. „Darf ich Sie fragen, Sie arbeiten in dem Klub?“

      „Aushilfsweise.“

      „Hm. Sagen Sie, können wir uns einmal sehen?“

Palmieri hatte es betont wegwerfend, fast beiläufig gesagt,

aber Bob spürte sogleich die Spannung, die nach

diesem sonderbaren Angebot das Schweigen erfüllte. Woher

kommt dieses drängende Interesse? fragte sich Bob.

Hofft Palmieri durch mich zum Klub und zu Flühmann Zugang

zu bekommen?

      „Wann?“

      „Heute Abend.“

      „Nein, das geht nicht.“ Bob war in Gedanken schon bei

Fränzi, die ihn doch eingeladen hatte. „Heute abend nicht.“

      Ist Palmieris Dringlichkeit nicht überhaupt verdächtig, direkt abstossend, zweifelte Bob, nun doch leicht erschrocken.

      „Und morgen, am späteren Vormittag?“

      „Ja,“

      Sie verabredeten sich auf elf Uhr. Bob würde ins Hotel

Zürich kommen, wo Palmieri logierte. Ist Palmieri ein

Schnüffler? Es beruhigte Bob, dass er ihn erst morgen zu sehen

brauchte. Nur jetzt nicht. Nicht im Augenblick.


„Komm“, sagte Fränzi, nachdem sie hinter der Wohnungstür

die Schuhe abgestreift hatte. Sie nahm Bob bei der Hand, zog ihn wortlos ins Zimmer nebenan, wo ihr breites flaches Bett

stand. Hier also wollte sie ihn haben – und er wollte sie. Es war

das eine Zimmer, das Bob nie betreten hatte. Überrascht

stand er nun mittendrin, ein wenig fremd. Ganz nah war Fränzi

ihm plötzlich. Sie drängte sich zu ihm mit diesem Kuss, der

selbstverloren war wie ein Absturz, an dessen Ende sie beide

nach Luft rangen. Dabei hielt er Fränzi umklammert, aber

Worte fand er keine. Er war leer.

      „Komm“, sagte Fränzi halbernst. „Wir machen’s richtig.“

      Bob fuhr zusammen, als er das Telefon läuten hörte.

„Willst du nicht abnehmen?“

      „Nein.“

      Fränzi löste sich von ihm, ohne Hast, streifte das T-Shirt

über den Kopf; und Bob sah ihre Brüste, die sich

leicht bewegten, ehe sie sich abwandte, um ihre Kleider

abzulegen. Das ist für dich! dachte er und stieg

zitternd aus der Hose, die er aufgeknöpft hatte. Ist es das

wirklich? Er bemerkte ihren kleinen hübschen Hintern,

den er streichelte, als wollte er nicht, dass der Austausch der

Berührung mit ihr abbrach. Belustigt drehte Fränzi

den Kopf – verwundert, wie Bob schien. Du weisst nicht, was

sie wirklich von dir denkt. Sie würde ihm ihren Körper

geben, der Gedanke allein überwältigte Bob, und er staunte,

mit welcher Klarheit er empfand, dass diese Erfüllung

alles andere bedeutungslos werden liess – das hier, was

er mit Fränzi hatte, war sein Leben. Es gab für Bob

kein anderes, hatte nie eines gegeben. Das Telefon hatte

zu läuten aufgehört.

      „Endlich“, sagte Fränzi. Sie trat scheu auf Bob zu, als

könnte nur ein halbes Lachen sie retten. Er spürte

Scham und Erregung. Aber als bliebe ihm nichts, fiel sie ihm

sogleich um den Hals. Und diesmal hielt er sie

fest umschlungen.


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