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KAPITEL II



               Fritz Hirzel, Komplize, Roman. Bei Limmat erschienen

               unter dem Titel Schindellegi, Paperback, 308 Seiten,

               Zürich 1988.


Zuletzt, als die Stewardess, eine schmale, kleine Blondine,

kurzes Haar, hohe Absätze, erneut vorbeikam, bat Flühmann sie

um ein Bier. Sie hatten, wenn er sich recht erinnerte,

Feldschlösschen an Bord. Obwohl sich der Liebhaber – oder

war es der Mörder? – auf der Kinoleinwand gerade

umzubringen drohte, hatten sich die meisten Passagiere in den

Erstklasspolstern zum Schlafen in ihre Decken gehüllt.

Die Boeing 747, die als Flug 101 der Swissair nach Zürich

im Kennedy Airport abgehoben hatte, war gut besetzt

in dieser Nacht.

      Flühmann versuchte sich zu entspannen.

      Er hatte die Kopfhörer, die zwischen die New York Times

und die Neue Zürcher Zeitung abgerutscht waren, nicht

angerührt. Die Zeitungen hatte er knapp überflogen, um einmal

mehr festzustellen, dass eine Schlagzeile im alten Europa

– das Verschwinden des P2-Chefs Gelli aus einem Gefängnis

in Genf – in Amerika noch lange keine war. Er zog es vor,

im Dunkel des Flugzeugbauchs zu sitzen, ohne Musikbegleitung,

das Licht angeknipst, sich zurückzulehnen und das Bier

zu trinken, ein Feldschlösschen tatsächlich, das die Stewardess

ihm gebracht hatte, lächelnd.

      „Sie brauchen es nur zu sagen, wenn sie noch etwas

wünschen, Monsieur.”

      Und weg war sie, doch blieb Flühmann dieser Seelenfunke

einer kurzen, kleinen Aufmerksamkeit, die er in ihrem Blick

zu lesen geglaubt hatte. Dem Gesang der Triebwerke, wenn es

dergleichen gab, glaubte er vertrauen zu können, das

Gefühl zunehmender Entfernung tat ihm gut. Nach und nach

spürte er, wie unter den gleichmässigen Fluggeräuschen

der Maschine die Spannung von ihm abfiel. Flühmann musste

sich eingestehen, dass er den Gedanken zu geniessen

anfing, nicht beim Verhör in einem Zollbüro des Kennedy Airport

zu sitzen, sondern inmitten dieser Erstklasspassagiere,

behaglich einige tausend Meter über dem Atlantik.

      Vorsicht! Flühmann langte an die Brusttasche seines

Kittels, wo er die Bündel fühlen konnte, die Jeff Winter ihm gestern

übergeben hatte. Es waren grosse Scheine, wie Flühmann vorgeschlagen hatte, Fünfhunderter und Tausender in Dollar, auf

beide Innentaschen verteilt.

      Er kicherte in sich hinein. Die Szene fiel ihm wieder ein,

in die er, gespannt in der Reihe der Wartenden stehend, bei der

Zollabfertigung geraten war.

      Ein Mittvierziger, Hornbrille, mittlere Statur, Bauchansatz,

hatte sich mit einem Aktenkoffer in der Hand vor Flühmann

hingestellt. Sein Gesicht passte zum Kammgarnanzug, den der

Mann trug. Beide wirkten zerknittert.

      Es war ein Schwarzer mit im Zolldienst weiss gewordenem

Haar, der die Papiere kontrollierte. Er stellte Fragen, die sich mehr

und mehr in die Länge zogen. Hatte eine kleine dumme

Lüge den Zollbeamten misstrauisch gemacht? Von Dollars, die

der Mann auf sich trug, war die Rede, dann auch von

Schecks, sofern Flühmann richtig verstand.

      Das war der Augenblick, in welchem ein Zivilangestellter

der Zollverwaltung, stattlich, fast bullig, hinzutrat. Er machte eine

Bemerkung, die freundlich, aber sehr bestimmt ausfiel.

Der zerknitterte Mann folgte ihm mit dem Aktenkoffer in einen

der abgetrennten Nebenräume.

      Bin ich der nächste, den sie filzen? Was Flühmann

bei sich hatte, überstieg um ein Vielfaches die fünftausend Dollar,

die er dem Zollbeamten nicht anzugeben brauchte. Es war

leicht auszudenken, was geschah, wenn sie entdeckten, was

er auf sich hatte. Sie würden ihn verhaften, sie würden das

Geld beschlagnahmen, da gab es für Flühmann keinen Zweifel.

Und sie würden ihm unangenehme Fragen stellen.

      Der Zollbeamte hob den Kopf. „Und Sie”, fragte er. „Haben

Sie etwas zu deklarieren?”

      „Nein. Nichts.”

      Der Beamte blätterte im Pass, den Flühmann ihm mit der Einsteigekarte gereicht hatte.

      „Okay, Mr. Flühmann. Vielleicht ein anderes Mal.”

      Das ware also geschafft, dachte Flühmann. Der Zollbeamte

gab ihm die Papiere zurück. Seine Handbewegung

war entschlossen. Erst, als Flühmann sich entfernte, hatte

er das Gefühl, im Rücken den Blick des Zollbeamten

zu spüren, der ihm zweifelnd, wenn nicht voller Misstrauen nachzuschauen schien.

      Flühmann ging weiter. Es gab Leute, für die war es wichtig,

die Noten am Körper zu tragen. Man musste sie anfassen,

wenn man an ihr Geld kommen wollte. You have to take the man

to take the money. Etwas mochte daran sein, aber für

Flühmann war das noch kein Grund, sich einen Stoffgürtel

um die Taille zu binden. Das war etwas für Reisende,

die professionell Kurierdienste verrichteten und es verstanden,

mit dem umgebundenen Zeug wie Geschäftsleute

aufzutreten. Unglaublich.

      Während Flühmann das Bier austrank, bedauerte er fast

ein wenig den Mittvierziger im Kammgarnanzug, den sie

unter seinen Augen aus der Reihe gepflückt hatten. Schon an der

Kasse des Kiosks, wo Flühmann die New York Times

gekauft hatte, war der Mann ihm aufgefallen, weil er eine

Einsteigekarte für denselben Flug hatte, erster Klasse

auch er. Im Flugzeug allerdings sass er nicht, Flühmann hatte

sich mehrmals vergewissert. Und als er jetzt die müden

Glieder streckte, fand Flühmann es gar nicht unangenehm, dass

der Sitz neben ihm leer geblieben war.

      Que sera, sera. Flühmann machte die Arme lang

und streckte sie weit von sich, aber seine Hände kehrten eilig,

ängstlich fast zum Kittel zurück, zu den Dollarbündeln,

die Jeff Winter ihm mitgegeben hatte.

      Es war ein Freundschaftsdienst, den Flühmann nicht hatte abschlagen können – nach allem, was Jeff Winter

während der Ampa-Affäre, als Flühmann mit falschen Papieren

nach New York gekommen war, für ihn getan hatte.

Und ist die Sache mit dem Geldtransport nicht ausnehmend

gut gelaufen, beinahe verdächtig gut?

      Eigentlich konnte Flühmann bei diesem Flug, der sein

letzter sein sollte, nichts mehr passieren.

      In ein paar Stunden würden sie in Zürich gelandet

sein, wo Flühmann die Dollarbündel los werden konnte. Er würde

sie am Hauptsitz der Schweizerischen Kreditanstalt auf

ein Nummernkonto einzahlen. Flühmann war sich bewusst,

dass es sich um die erste der Schranken handelte, die

zu passieren waren, und er hatte sie doppelt gesichert. Auf dem

Papier gehörte dieses Konto weder ihm noch Jeff Winter,

zumindest für die Bank nicht. Es gehörte einer Gesellschaft namens

Zephyr Link Corporation, deren einzigen Verwaltungsrat,

einen Rechtsanwalt in Vaduz, Flühmann nie zu Gesicht bekommen

hatte. Dr. Gundelmeier! Flühmann kicherte in sich hinein,

befreit und vergnügt. Ist sie nicht berechtigt, die Vorfreude auf

das beruhigende Gefühl, die Dollarbündel in sichere

Hände zu übergeben, aus der Schalterhalle der Schweizerischen Kreditanstalt zu treten, mitten unter sommerlich

gekleidete Passanten?

      Bei einem Antiquitätenhändler an der Eastside hatte

Flühmann für Vilma eine Art-Deco-Brosche gekauft, ein Objekt

aus Lack und Silber, kreisrund, mit schwarzen zylindrischen

Vertikalen. Vilma hatte neuerdings ein Flair für Art Deco, weshalb

Flühmann auf seinen Fund nicht wenig stolz war.

„Streamline Camp, Chicago”, hatte der Mann im Laden

behauptet, ein schmaler blonder Schwuler mit Brille.

Flühmann war allerdings nicht so sicher. Er hielt das Stück eher

für eine geglückte Fälschung, was aber nichts daran

änderte, dass es ihm ausnehmend gut gefiel.

      Ob Vilma zu Hause ist, fragte sich Flühmann. Wenn sie

mit Annie Legrand nach Paris gefahren war, würde

Vilma kaum schon zurück sein. Annie war ihre Freundin, und

Vilma hatte mit ihr die Manet-Ausstellung besuchen

wollen. Ob sie gefahren sind? Sicher ist man bei Vilma nie,

wenn es um Reisepläne geht, dachte Flühmann. Daran

hatte er sich gewöhnt. So verlässlich Vilma in Dingen war, die

ihr Zusammenleben betrafen, so überraschend war

sie bereit, eins ihrer eigenen Vorhaben fallen zu lassen, auch

wenn sie es bis ins Detail geplant hatte. Flühmann hatte

deshalb auch keine Mühe, sich Vilma vorzustellen, wie sie mit

Annie statt Pariser Museumshallen zu durchstreifen

zu Hause im Klub Tennis spielte.

      Na und? Flühmann musste sich eingestehen, dass

er im Klub nicht mehr so häufig verkehrte wie früher. Manchmal

hatte Flühmann, wenn er nach dem Tennis an der Theke

noch ein Bier nahm, sogar das Gefühl, bei den andern eher gelitten

als beliebt zu sein. Ist es die zwielichtige Rolle in der

Ampa-Affäre, die mir wie ein Schatten nachgeht? Liegt es daran,

dass ich ein Zugezogener bin, kein Eingesessener?

Womöglich, da hatte Flühmann selbst rückblickend seine Zweifel,

wäre er in den Klub gar nie aufgenommen worden, hätte

nicht Vilma ihn hineingebracht.

      Hat Vilma nicht im Klub schon für Aufregung gesorgt,

noch ehe sie I6 gewesen ist? Sie hatte ihm ihr Foto nicht ohne

Scheu gezeigt: ein Mädchengesicht, langes braunes Haar,

die Nase in den Wind gedreht, wache übermütige Augen, breite

Lippen, ein lachender grosser Mund. Ihr Vater, der

Bauunternehmer Indermaur, war Präsident des Verwaltungsrats

der Scheiwyler & LeClerc, Oberst im Generalstab, ein mit

Trinksprüchen reich gesegnetes Mitglied der Zunft zum Kämbel.

Es waren mehrere gewesen, die sich im Klub ernsthaft

um Vilma bemüht hatten, Männer unterschiedlichster Art, sogar

ein Spieler der ersten Mannschaft, ein Linkshänder – ihnen

allen hatte Vilma eine Absage erteilt, obwohl es nicht so gewesen

sein konnte, dass sie mit diesem oder jenem nicht

bei Gelegenheit geschlafen hätte.

      Überraschend für die meisten war Vilma ins Ausland

gegangen, doch als sie nach ein paar Jahren

zurückgekommen war, hatte sie ihn, Max Flühmann, in den Klub

mitgebracht. Er war seit längerem ihr Ehemann, und

dabei war es geblieben – zum Erstaunen einiger Mitglieder,

die sich in Beziehungsangelegenheiten sonst selten

irrten. Im Vorstand wurde seinerzeit herum geboten, auf

Flühmanns Unbescholtenheit hereinzufallen, sei

bestimmt ein Fehler – nicht, weil man ihm zuviel nachsehe,

sondern weil man seine Talente unterschätzte. Das

Gerede bei Flühmanns Aufnahme in den Klub hatte anscheinend

keinen anderen Grund gehabt als den, dass im Gefolge

der Ampa-Affare ein gewisser Hermann Zimmerli, ein in Zug wohnhafter Lizenzvermittler, spurlos verschwunden

war, weshalb man, wenn auch ohne Ergebnis, gegen ihn,

Max Flühmann, ermittelt hatte.

      Damals konnte sich noch nicht herumgesprochen haben,

dass Flühmann als Schwiegersohn bei Indermaur auf

Ablehnung stiess, was unter anderem bedeutete, dass Indermaur

mit keinem Gedanken daran dachte, seinem Schwiegersohn geschäftlich unter die Arme zu greifen. Ausser der monatlichen

Zahlung, die weiterhin an Vilma erging, und dem Haus

in Kilchberg, dessen Kauf er Vilma ermöglicht hatte, wollte

Indermaur mit Flühmann nichts zu tun haben.

      Nicht, dass Flühmann die Situation nur bedauerte,

manchmal amüsierte sie ihn beinahe. lndermaur war, wie es sich

in Kreisen gehörte, die in Zürich Einfluss hatten, Mitglied

der Freisinnig-demokratischen Partei, sträubte sich aber beharrlich,

auf einer Wahlliste der Partei für ein Parlament

zu kandidieren, weil ihm die Politik zu bedeutungslos erschien.

Flühmann glaubte nicht, dass es unbedingt seine

Herkunft war, die Indermaur missfiel, sondern eher die Tatsache,

dass er keiner geregelten Arbeit nachging. In seiner

Vergangenheit, dessen war Flühmann sich bewusst, fehlten

die Wegmarken, die zu einem vorzeigbaren Werdegang

gehörten. Doch damit, vermutete er, hätte Indermaur sich abfinden

können. Ebenso geschwunden waren Bedenken, die

Flühmann bei Indermaur vermutet hatte, weil bei ihm, Flühmann,

leider nicht so einfach ersichtlich war, wie er in den

Besitz gewisser Gelder gekommen war. Das hätte sich mit

einiger Umsicht regeln und zurechtrücken lassen. Nein,

es musste mit diesem zu wenig seriösen Lebenswandel zu tun

haben, warum Indermaur seine Gegenwart schlecht ertrug.

      Flühmann wollte sich nichts vormachen. Wie die Dinge lagen, schien Indermaur es für das beste zu halten, seinen

Schwiegersohn nicht zur Kenntnis zu nehmen. Nicht, dass

Flühmann das Unbehagen nicht verstand, das Indermaur

der Besuch bereiten musste, zu dem er in Begleitung seiner Frau

einmal im Jahr bei ihnen erschien. War es möglich, dass

es Flühmann gerade deshalb reizte, Indermaur bei diesem mit

ausgedehntem Mittagessen verbundenen Anlass zu irritieren,

indem er sich als charmanter, gesprächsbereiter Gastgeber gab,

der aufmerksam zuzuhören verstand? Wirklich, manchmal

erleichterte es Flühmann, dass zumindest Vilma, vom Elternbesuch

abgesehen, den sie als mühsam empfand, mit der

schwierigen Lage nicht schlecht zurechtkam. Ist das nicht

eine der Fähigkeiten, um die ich sie bewundere?

      In der Boeing 747 stapfte, als Flühmann mit einem kurzen verwunderten Blick auf der Kinoleinwand hängen blieb, der Mörder – oder war es der Liebhaber? – soeben durch ein dampfendes, türkisches Bad.

      In seinem Kopf überlagerten sich die Bilder, doch mit

Konturen, die kräftiger waren, schob New York sich vor alles,

was mit Vilma, ihren Eltern oder dem Klub zu tun hatte.

      Noch war Flühmann das Geld nicht los. Es fiel ihm ein, wie

er Jeff Winter an der First Avenue vor dem Hotel zuletzt

gesehen hatte, als Jeff, Doppelreiher, weisses Hemd,

breitkrempiger, heller Hut, mit winkender Hand in seinen riesigen

Chevrolet stieg.

      Pünktlich um elf war Jeff ins Studio gekommen, das

Flühmann im Beekman Tower für zwei Nächte genommen hatte.

Jeff hatte ihm das Geld, verpackt in zwei weisse, unbedruckte

Couverts, ausgehändigt, als könnte er es kaum erwarten.

      „Hier”, sagte Jeff. „Das ist für dich.”

      Flühmann hatte sorgfältig die Türe hinter ihm geschlossen.

      „Es ist alles, wie es sein soll”, fügte Jeff hinzu.

„Es hat alles geklappt.”

      Jeff hatte ein säuerliches Lächeln aufgesetzt, das

in seinem breitgewordenen Gesicht nicht lange haften blieb.

Nein, es war nicht mehr das Lächeln, mit dem Jeff

eines Tages erklärt hatte, er verdiene seinen Lebensunterhalt

und vielleicht noch etwas mehr nun damit, dass er den

Giftmüll eines Industrieunternehmens einsammeln und in diese

oder jene Deponie verfrachten lasse. Flühmann sagte:

      „Ich habe nichts anderes von dir erwartet.”

      Es war Flühmann nicht entgangen, wie aufgeschwemmt

Jeffs Gesicht war. Ist etwas? Jeff hätte es mit Entschiedenheit zurückgewiesen, sich als Einzelunternehmer zu sehen,

der notfalls auch einmal selbst Hand anlegte, um den Giftmüll

eines Industriebetriebs dort unterzubringen, wo er nicht

hingehörte. Es war eher beiläufig geschehen, als Jeff seinerzeit

eine Möglichkeit angedeutet hatte, die sich ihm in einer

Deponie in Edgeboro eröffnete.

      „Nimmst du immer noch Eis in den Whisky?”, fragte

Flühmann, nachdem er Jeff einen Bourbon eingeschenkt hatte.

      „Danke, nicht zuviel.”

      Flühmann liess zwei Eiswürfel ins Glas fallen und

reichte es Jeff. Allerdings war es purer Zufall gewesen, dass

Flühmann in der Folge überhaupt erfahren hatte, was

es mit Edgeboro auf sich hatte. Ein Jahr nach Jeffs Erwähnung

von Edgeboro hatte Flühmann, einer seltsamen

Eingebung folgend, eine Mappe mitgehen lassen, die im Foyer

des Lincoln Center stehengeblieben war. Zu seiner

Enttäuschung war sie mit Dokumentationsmaterial zu einem

Kongress über Müllbeseitigung vollgestopft. Als Flühmann

den Stapel der Unterlagen durchblätterte, stiess er zufällig auf ein

Papier, in welchem praktische Erfahrungen mit verschiedenen

Deponietypen in New Jersey referiert wurden. Flühmann staunte

nicht schlecht, als er in diesem Vergleich auch Edgeboro

erwähnt fand, eine Müllkippe, die für Giftmüll weder vorgesehen

noch eingerichtet war.

      „Willst du’s bitte nachzählen?” Jeff zeigte mit der Hand

auf das Geld. „Das meiste habe ich von der Chase Manhatten.

Die Noten sind in Qrdnung.”

      Sah Jeff nicht etwas abgetakelt aus, wie er hörbar

atmend mit fleischigem Gesicht im Ledersessel am Fenster sass?

Er klunkerte gelassen mit den Eiswürfeln in seinem Glas.

Langsam hob er das Glas, dann stürzte er den Whisky hinunter.

      „Max”, sagte Jeff, indem er nun mit dem Handrücken

über den Mund wischte. „Wie ich das Telefon abnehme, gestern

Abend, so gegen fünf, ist einer dran, der sich als

Charles Palmieri vorstellt – einer, der behauptet, für Duane

Marine zu arbeiten. Er will wissen, ob die Confidential

Phoenix an der Bewerbung festhält, die sie bei Ford in Edison

eingereicht hat. ,Na klar’, sage ich. ,Warum denn nicht?’ –

,Ich weiss nicht’, sagt der Kerl, dieser Charles Palmieri oder wer.

,Es ist nur, was ich gehört habe.’ – ,Und was haben

Sie gehört?’ – ,Das kann ich Ihnen nicht sagen, verstehen Sie.

Aber ich mache mir Sorgen um Sie.’ – ,Sie machen sich

Sorgen um mich?’ – ,Ja.’ – ,Und weswegen, wenn ich fragen darf?’ – ,Ihrer Sicherheit wegen.’ – ,Meiner –’ Es war unglaublich.

,Meiner Sicherheit wegen?’ – ,Ja, und ich dachte, ich sollte es Ihnen

sagen.’ Die Stimme hörte sich an, als sei dieser Palmieri

tatsächlich ernsthaft besorgt um mich. Du kannst ihn für das, was

er sagte, bei keinem Wort belangen, aber es war

unmissverständlich der Versuch mich einzuschüchtern. Nicht

ein Wort der Drohung, der Erpressung, absolut nichts.

Dieser Palmieri macht sich – nur einfach Sorgen um mich, weil

die Confidential Phoenix sich bei Ford in Edison um

den Auftrag bewirbt.”

      Jeff, in leiser, gepresster Stimme artikulierend, hatte sich

vorgebeugt, seine Augen leer. Nun sass er da, ein glucksendes

Lachen von sich gebend, das brüsk abbrach. Seine Hand

zitterte, als er das leere Whiskyglas abstellte.

      „Verdammte Scheisse.” Flühmann hatte mit etwas

ähnlichem seit längerem gerechnet, nun war er trotzdem entsetzt.

„Weisst du, wer das ist, dieser Charles Palmieri?”

      „Nein, nichts genaues. Ich habe Bill Whitney angerufen,

der ist Privatdetektiv, aber er war nicht im Büro. Vielleicht versuch

ich’s jetzt noch einmal.”

      Jeff wählte eine Nummer.

      „Hi, Bill. Hier – hier ist Jeff. How you doing? Ja, genau.

Du, ich weiss nicht. Ich hab ein Problem. Es geht um einen Kerl,

der mir zu schaffen macht.”

      Er erzählte Bill Whitney sein merkwürdiges Erlebnis

mit diesem Charles Palmieri.

      „Kannst du beim Police Department in Erfahrung bringen,

was es mit ihm auf sich hat? – Palmieri, ja.”

      Auch dass Palmieri behauptete, für Duane Marine zu arbeiten,

liess Jeff nicht unerwähnt.

      „Doch, doch. Sicher kannst du mich zurückrufen. Ja, ich

bin im Beekman Tower, bei einem Mr. Flühmann. Bis dann.”

      Jeff sass da, weiss im Gesicht, ausdruckslos, wie abwesend,

den Körper zurückgelehnt.

      „Aber bei dir”, sagte Flühmann. „Bei dir ist alles in Ordnung?”

      Er hatte sich an den Schreibtisch gesetzt und begann die Dollarscheine zu zählen. Mehr, um etwas zu sagen, fragte er:

      „Was macht eigentlich Sandy?”

      Aus der quirligen neugierigen Kleinen war, als Flühmann

sie das letzte Mal gesehen hatte, eine Halbwüchsige

geworden, die auf unbedachte persönliche Meinungen äusserst

hellhörig reagierte.

      Jeff sagte: „Oh, Sandy ist okay. Du kannst dir nicht

vorstellen, wie die sich macht. Es ist jetzt eine Woche her, seit

sie wieder im College ist, drüben in Arlington.” Jeff hatte

sich vorgebeugt, den Blick gesenkt, seltsam verlegen, wie er das

leere Glas hielt und betrachtete. „Was weiss ich, was sie

dort einem Teenager heute beibringen. Als Sandy in den Ferien

zu Hause war, ist sie jeden Tag ausgegangen. Und mich,

ihren Vater, hat sie ein Schwein genannt.”

      „Ein Schwein?” Fast hätte Flühmann, der Jeff nicht verletzen

wollte, laut herausgelacht. „Wieso das? Wieso ein Schwein?”

      „Ach, Sandy ist der Meinung, dass ich schmutzige Geschäfte mache. Ich gehöre zu den Leuten, die den Erdball vergiften.

Oder mindestens New Jersey. Ich stecke mit dem Big Business

unter einer Decke. Und mit der Mafia.”

      „Mit der Mafia? Wie kommt sie denn darauf?”

      „Das weiss ich auch nicht. Und das ausgerechnet mir,

wo ich diesen Burschen als erster den Hals umdrehen

würde, wenn ich könnte. Wie die einsteigen, die machen uns

das Geschäft kaputt, endgültig. Die kommen daher und

vergraben Giftgas aus dem Zweiten Weltkrieg auf eigene Faust,

stell dir vor – in Middletown, in einer Schweinefarm! Und

auf so eine Geschichte stürzt sich meine Tochter, die sonst nie

eine Zeitung liest. Und an was denkt sie sogleich? An Dad.

Wirklich, ist doch zu reizend, findest du nicht?”

      „Naja, im Familienleben –”

      „Du kennst mich, Max. Ich kenne das Terrain, das

weisst du. Ich habe bei Givaudan gearbeitet, stimmt’s? Erst

in Dübendorf, das weisst du am allerbesten, dann hier

in Clifton, gut. Mir macht keiner etwas vor, kannst du mir glauben.

Ich kenne die Leute.”

      „Niemand bestreitet das, Jeff. Aber ich weiss nicht,

wieso du das immer so hervorkehrst. Manchmal habe ich beinahe

das Gefühl, dass du diesem Job bei Givaudan nachtrauerst.”

      Givaudan. Flühmann vermutete, Jeff wolle sich den Namen

ans Bein streichen. Givaudan. Offenbar hatte Jeff

festgestellt, dass ihm der Hinweis nützlich war, so absurd

das erscheinen mochte. Bedeutenden Firmennamen

vertrauten die Leute mehr als einer Einzelperson. Die Amerikaner

waren beeindruckt von einem Unternehmen, das eine

Katastrophe wie jene des Zweigwerks in Seveso überlebte –

aufgehoben im multinationalen Roche-Konzern.

Flühmann hatte gehört, dass Givaudan soeben einen Teil

der Fabrikanlagen in Clifton, New Jersey, hatte schliessen

müssen, weil auf dem Werkareal gefährliche Mengen

Dioxin festgestellt wurden. Dabei hatte er die Schlagzeilen noch

im Kopf, als man die verschwundenen Fässer mit dem

Dioxin aus Seveso im Schuppen einer stillgelegten französischen

Dorfmetzgerei entdeckte. War das nicht erst letzten

Monat gewesen?

      Jeff schüttelte den Kopf. „Ich bin froh, dass ich mit

Givaudan nichts mehr zu tun habe. Das kannst du mir glauben.

Ich habe die Zahlen gesehen, den Gewinn, den sie

machen. Ich bin doch nicht blöd. Gut, ich habe mich selbständig

gemacht. Aber habe ich einen Grund es zu bereuen?”

      Es ist die alte Nummer, dachte Flühmann. Er war mit

dem Zählen der Dollarscheine beschäftigt und hörte nur mit

halbem Ohr zu. Flühmann kannte die Umstände, die

Jeff veranlasst hatten, die Confidential Phoenix zu gründen.

Jeff hatte sich, das wusste Flühmann zu genau, nicht

aus eigenem Entschluss selbständig gemacht, sondern weil

er bei Givaudan hatte gehen müssen. Erheblicher

Unstimmigkeiten wegen.

      „Max, du weisst, dass es anfangs nicht leicht war.

Ich habe mich nach der Decke strecken müssen, das stimmt.

Aber da gibt es immer noch Unterschiede, auf die ich

Wert lege. Mafia! Dass die Kleine auf die Idee kommt, ich würde

mit diesen Schweinen gemeinsame Sache machen,

ist allerhand.”

      „Das Geld stimmt”, sagte Flühmann. Er legte die Bündel

der Dollarscheine zu den Couverts. „Aber das mit Sandy, das find

ich auch nicht gut, Jeff. Weiss sie etwas?”

      Jeff betrachtete seine Fingernägel. Er sagte: „Sie weiss

gar nichts, aber es passt zu ihrer Art, diese Trotzköpfigkeit. Mafia!

Sie schleudert das hin wie etwas, das sie an mir ausprobieren

will, einfach so. Und dann redet sie in erregtem Ton von

Umweltschutz. Für Sandy bin ich Mr. Profit, nicht mehr der

Weihnachtsmann. Mafia! Die Kleine weiss nicht, von

was sie redet.”

      „Wie kommt denn Elinor mit ihr zurecht?”

      „Das ist für Elinor nicht leicht. Sie ist verunsichert,

das finde ich das schlimmste an allem. Elinor, du kennst sie,

sie ist so sensibel. Elinor ist es, die darunter leidet,

wenn Sandy mir eine Szene macht. Sie erträgt das einfach nicht,

nicht von Sandy. Letzte Woche, die Kleine ist kaum

aus dem Haus, fragt Elinor mich allen Ernstes: ,Jeff, was

du da mit der Confidential Phoenix machst, das ist

doch legal?’ So eine Frage! Ich darauf: ,Unsinn.’ Jeff lachte.

,Wie kommst du nur auf solchen Unsinn?’ – ,Das ist

doch, was Sandy sagt.’ – ,Sandy sagt, was dieser Bob Franey

ihr einredet. Was kann ich dafür, wenn Sandy sich in ein

literarisches Talent verliebt? Hat zuviele Bücher gelesen, der

Junge.’ – ,Aber Bob Franey ist in Europa.’ – ,So. Ist er

das?’ – ,Ja, seit einem halben Jahr.’ – ,Und was ist mit diesem kanadisch-irischen Rotschopf, diesem College-Lehrer,

der im Auftrag von Greenpeace die Weltmeere säubert und

zu Hause Robbenbabies aufzieht?’ – ,Der ist entlassen

worden.’ – ,Nein!’–  ,Doch, Jeff. Und jetzt reden wir von dir.’

Du weisst, wie Elinor sein kann. Nicht abzubringen

von etwas, wenn sie’s einmal im Kopf hat.”

      Flührnann hatte schweigend zugehört. Soweit also war

es schon. Er hätte sich’s denken können. Oder

vielleicht nicht? Jeff steckte in Schwierigkeiten und hatte

noch nicht einmal begriffen, wie tief er drinsteckte.

Erst dieser Palmieri, dann Sandy und Elinor, aber das ist

vermutlich noch nicht alles. Fliihmann hatte das

Gefühl, dass Jeff sich herauszureden versuchte. Er sagte:

      „Ich weiss.”

      Er sah Elinor vor sich, bei der Party vor zwei Jahren,

im Sommerkleid, hochgewachsen, mit amüsiert dreinblickenden

hellen Augen, als sie die Sonnenbrille abnahm, ein

entschlossenes gepflegtes Gesicht, das dunkle Haar halblang,

gewellt.

      „Unerbittlich, das meinst du. Genau wie Sandy,

die von dir noch etwas abbekommen hat. Was ist mit diesem

Bob Franey, in den Sandy sich verliebt hat? Ist das aus?

Oder hat sie noch etwas mit ihm?”

      Jeff räusperte sich. „Wie soll ich das wissen? Mit diesem

Bob Franey hat alles angefangen. Sandy hat ihn auf

dem Computer Camp kennengelernt, vorletztes Jahr. Das war,

bevor Bob Franey sich entschlossen hat, ein Autor

zu werden und nur noch für Bücher zu leben. Er war einer

der Kursleiter auf dem Camp, so eine Art Animator.

Überhaupt, was die Kids dort alles gemacht haben – das ist

bei Sandy unheimlich eingefahren. Im selben Zug

Bob Franey. Jedenfalls ist Sandy durch den Umgang mit ihm

zur Person geworden, die sie heute ist. Eine richtige

radikale Ratte! Sandy und Bob Franey, die gingen zusammen.

Immerhin ist er um einiges älter als sie. Elinor und ich,

wir waren zuerst ratlos. Was willst du denn machen? Wir haben

Sandy nach Arlington geschickt, aufs College. Aber

du darfst nicht glauben, dass es damit zwischen ihnen aus

gewesen ist. Die zwei haben sich Briefe geschrieben.

Und es würde mich nicht wundern, wenn sie’s noch immer täten.”

      Sorgfältig nahm Flühmann eines der Dollarbündel

und steckte es in seine linke Kitteltasche. Er trat schweigend

durch die halboffene Türe in den Vorraum hinaus,

wo er sich vor den Spiegel stellte und verschiedene Posen

ausprobierte. Er war nicht unzufrieden. Er kehrte ins

Zimmer zurück.

      Ob Jeff es mir ansieht? „Dieser Bob Franey –”

Flühmann wandte sich Jeff zu. „Lässt seinen Job im Computer

Camp fallen, setzt sich nach Europa ab und gibt alles

auf um zu schreiben. Mir gefällt das. Ehrlich. Ich – also ich

könnte das nicht. Vielleicht findet Sandy ihn deshalb

so besonders. Mach dir um sie keine Sorgen, Jeff. Das gibt sich

von allein. Mir kommt dieser Bob Franey vor wie ein

Mann, der verbissen gegen den Strom schwimmt. Aber auf

die Dauer ist das nicht nur verdammt ermüdend,

sondern aussichtslos.”

      Jeff lächelte müde, stand auf und wandte sich zum Fenster.

      „Das hast du wirklich schön gesagt.”

      Das Telefon klingelte, und Flühmann nahm ab.

„Hello. Oh, hi. Ja, das ist hier. Ja, Mr. Winter ist noch da. Einen

Augenblick bitte.” Er legte den Hörer beiseite und machte

Platz. „Hier ist der Anruf für dich, Jeff.”

      „Hi, Bill. Ja? Hast’s herausgekriegt! Ist er? So.”

Jeff, verstummt, nahm das Papier, das Flühmann ihm reichte,

und begann Notizen zu machen. „Ja, Bill”, sagte er zuletzt.

„Nochmals vielen Dank für den Hinweis. Ich melde mich, sobald

ich etwas für dich habe. Aber natürlich. Bis bald.”

      Nachdem Jeff aufgelegt hatte, starrte er sekundenlang

vor sich hin, in Gedanken versunken.

      „Und?” Flühmann hatte sich erhoben.

      „Kein Unbekannter, dieser Charles Palmieri, wenigstens

nicht, wenn’s um organisiertes Verbrechen geht. Er wird im Police

Department mit dem Klan der Genovese Family in Verbindung

gebracht. Er soll einen älteren Bruder haben, der ein einflussreiches

Mitglied ist.”

      La Cosa Nostra, dachte Flühmann. Das ist keine

Sight-seeing-tour.

      Jeff sagte: „Palmieri ist vorbestraft. Er hat acht Monate

wegen Erpressung bekommen, die er vor zwei Jahren abgesessen

hat, im offenen Vollzug, so dass er tagsüber im Geschäft war.”

      „Da hast du’s, wegen Erpressung. Um was ging’s denn dabei?”

      „Das hat Bill nicht herausbekommen.”

      „Für Duane Marine arbeitet Palmieri aber, das ist sicher?”

      „Nein. Bill hat angerufen. Zu erreichen ist Palmieri

in Perth Amboy, am Sitz der Firma, nicht. Die Auskunft, die Bill

bekommen hat, lautet ausweichend, aber das heisst nichts.

Duane Marine ist eine Gesellschaft, die keine eigenen

Transportmöglichkeiten hat. Um für Duane Marine zu arbeiten,

braucht Palmieri nur einen Lastwagen und einen Fahrer

oder eine Lizenz.”

      Flühmann suchte nach etwas, um Jeff zu beruhigen.

      „Und wenn das mit Duane Marine nur ein Bluff ist?”

      „Für mich ist alles möglich.”

      „Immerhin, es ist denkbar, dass der Kerl dich zu bluffen

versucht. Du weisst nicht einmal, ob er wirklich Charles Palmieri

ist. Bis wann wird Ford sich denn entscheiden?”

      „Bis Ende Monat.”

      „Woher weiss der Kerl überhaupt, dass du dich in Edison

beworben hast? Von den Leuten bei Ford?”

      „Nicht unbedingt. Er kann’s auch einfach nur vermutet

haben. Ich hätte es ihm am Telefon dann erst bestätigt.”

      „Kennst du irgendwelche Mitbewerber?”

      „Das werden viele sein. Der Auftrag ist ein dicker Happen.”

      „Meinst du, noch andere haben so einen Telefonanruf

bekommen? Bist du bei Ford denn in der engeren Wahl?”

      Jeff zuckte die Schultern. „Ich kann es nicht sagen. Das ist

auch verdammt schwer herauszufinden. Über so etwas

redet keiner gern. Und was die engere Wahl angeht, so weiss ich

nicht recht. Für so gut halte ich meine Chancen gar nicht.”

      „Alles, was der Kerl dir am Telefon geliefert hat, ist dieser

Name – Charles Palmieri, vorbestraft wegen Erpressung.

Wenn er im Auftrag von jemandem handelt, so wird das kaum

Duane Marine sein. Hätte er sonst den Namen preisgegeben?”

      „Du meinst, er hat das nur so gesagt, um sich ein bisschen

wichtig zu machen?”

      „Ja, irgendwas in dieser Richtung. Das wäre nicht

das schlechteste Mittel, um seiner Besorgnis ein gewisses Gewicht

zu geben. An was, Jeff, denkst du, wenn du Duane Marine hörst?”

      „An nichts Besonderes, entschuldige.”

      „Dir fällt nichts ein, wenn du an den Namen denkst?”

      „Du meinst solche Dinge wie die Geschichte, dass sie zu einer Busse von 50 000 Dollar verurteilt wurden, weil sie einige

Tonnen Abfall in die Kanalisation gekippt haben?”

      „Ja, das meine ich. Wann war denn das?”

      „Das ist noch nicht solange her. Drei, vier Jahre, wenn’s hochkommt.”

      „Ist das nicht noch in den Köpfen der Leute?”

      „Ich weiss nicht. Du, das glaube ich nicht. Allenfalls bei

solchen, die mit der Branche zu tun haben.”

      „Oder selber drinstecken. So wie du, Jeff.”

      Hatten Mafiosi bei Jeff angeklopft? Unglaublich, dachte

Flühmann. Er wusste, dass sie mit solchen Methoden arbeiteten.

Aber es war etwas anderes, wenn man sie selbst

zu spüren bekam.

      „Weisst du“, sagte Jeff. „Mir macht man so rasch

keinen Eindruck. Charles Palmieri, Duane Marine, Genovese

Family, diese Namen – vielleicht ist alles wirklich nur

ein Bluff. Ach, fast hätt’ ich’s vergessen. Bill findet die Verbindung

mit Genovese eigenartig. Mit dem Giftmüll haben es

normalerweise, das stimmt, die Mafiosi der Gambino Family,

die ohnehin die Nummer eins sind.”

      „Und die Genovese Family?”

      Jeff zögerte. „Die haben mehr als zweihundert Mitglieder,

dazu einige hundert Verbündete. Die Genovese sind unter

den traditionellen fünf New Yorker Familien die zweitgrösste.”

      „Dieser Palmieri?” fragte Flühmann ungläubig.

„Sein Bruder soll ein einflussreiches Mitglied sein, hat Bill

gesagt. Gehört er zum –?”

      „Nein, der Boss heisst Philip Lombardo, das Sagen

haben ausserdem Anthony (Fat Tony) Salerno, Gerardo Catena,

Matthew Ianiello und Vincent Gigante. Ihre Hauptquartiere

haben sie im Greenwich Village und in East Harlem, aber ihr Einfluss

geht bis zur Waterfront in Brooklyn und New Jersey.”

      „Du willst es also drauf ankommen lassen?”

      „Sicher.” Ohne Hast schob Jeff die Whiskyflasche beiseite.

Er nahm das Blatt mit den Notizen, die er beim Telefongespräch mit

Bill gemacht hatte. Dann knipste er sein Feuerzeug an

und hielt es darunter. Flühmann sah zu, wie das Papier Feuer fing,

einen Moment lang aufflackerte und dann verkohlte, indem

es schrumpfte und sich verbog. „Ich glaube, das ist nichts als ein

kleiner Erpresser, der einen Ballon steigen lässt”, fügte

Jeff hinzu, nachdem er das verkohlte Papier dem Aschenbecher übergeben hatte. „Bleibe ich bei meiner Bewerbung, muss

der Kerl sich etwas Neues einfallen lassen. Ziehe ich sie zurück,

kann ich mit der Confidential Phoenix gleich aufhören. Ich

habe ihm dann bewiesen, dass ich erpressbar bin.”

      „Umsonst, Jeff, gibt’s auch hier nichts.” Diesen letzten Satz

bedauerte Flühmann fast augenblicklich. Ein Gemeinplatz.

Er konnte verreisen. Okay. Er hatte es gut. Aber musste er deshalb

Sprüche machen? Jeffs Atem war keuchend zu hören.

Flühmann wandte den Kopf. Jeff war ans Fenster getreten.

Er blieb stehen und sah hinaus. Er sagte:

      „The River.” Nach einer Weile drehte Jeff sich um. „Im Times

Square Pornogeschäft machen sie sich breit, in Gewerkschaften und

Transportindustrie. Sie sind involviert in Restaurants, Seafood

Distribution und lokaler Unterhaltungsindustrie.” In Jeffs Gesicht

stand etwas wie Zuversicht. Er verzog lachend den Mund.

Sein Blick war entschlossen, fast ein wenig irr. Er fragte: „Hat es

Artischocken auf der Karte?” Ein Leuchten, das nun doch

Appetit verriet, war in seine Augen zurückgekehrt. Zärtlich klatschte

Jeff sich auf den Bauch. „Du hast Lust, anderswo essen

zu gehen, hm? Max, du weisst, es ist besser, wenn man uns

nicht zusammen sieht.”


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