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BLOCHER VOR DER BELEGSCHAFT
Fritz Hirzel, Erstveröffentlichung, entstanden 1983/1989.
Auf dem Gelände der konkursiten Kammgarnspinnerei
Interlaken eröffnet 2016 ein Gewerbepark.
Kammgarnspinnerei Interlaken, 5. Mai 1983. „Die Kammi“, wie
sie die Fabrik hier nennen. Es ist Nachmittag und die
Maschinen stehen still. „Coop hat uns verraten“, sagt eine der
Arbeiterinnen. „Wir kaufen nicht mehr bei Coop.“ Die
„Kammi“ ist die einzige Fabrik am Ort.
Coop hat die Hälfte der Aktien. Und Coop hat verkauft –
an die Konkurrenz in Bürglen, die Schmid AG in Gattikon. Seit
Wochen leben die Leute der „Kammi“ mit Gerüchten,
Arbeitsstress und Zeitungsmeldungen, die auf eine Liquidation
hindeuten.
„Wir haben so gekrampft“, sagt eine Arbeiterin.
„Und jetzt das!“
Christoph Blocher ist gekommen. Er begrüsst
die Betriebskommission mit Händedruck. Er ist
Verwaltungsratspräsident. Ihm – das heisst der Ems Chemie
AG – gehört die andere Hälfte der Aktien. Die
Arbeiterinnen – eingeschüchtert, fast sprachlos – glauben
an Blocher. Man setzt sich.
Welch ein Bild: Über seinem Kopf hängen
zwei Flinten an der Wand. Blocher weigert sich, die Aktien
auszuhändigen, die Coop gehört haben. Er will nicht
verkaufen, nicht an die Konkurrenz in Bürglen, nicht ohne
feste Garantien.
Die Belegschaft, zur Betriebsversammlung
zusammengerufen, ist im Halbdunkel versammelt. Die
Arbeiterinnen sitzen schweigend, verunsichert,
wie auf Schulbänken zusammengedrängt. Arbeiter lehnen
bei der Türe an der Wand. Neben mir steht ein
Mechaniker, keine dreissig. Licht fällt von draussen in den
Raum, Nachmittagssonne. Die Stimmung ist
gespannt, bedrückt.
„Heute bleibt die Betriebsführung von Ems und Coop
unverändert“, sagt Blocher. Die Möglichkeit, mit Bürglen
zusammenzuarbeiten, schliesst er aus. „So eine Partnerschaft
kommt nicht in Frage.“ Dann spricht er die Worte, die
für die Beschäftigten Balsam sind. „Wir müssen einen gangbaren
Weg finden für die Erhaltung der Kammgarnspinnerei
Interlaken.“
Neben Blocher sitzt Coop-Direktor Leuenberger.
„Erfahre ich über die Schliessung auch zuerst aus der Zeitung?“,
fragt ihn ein Arbeiter.
„Ich hoffe nicht“, antwortet Leuenberger und bleckt
sein Kennedy-Gebiss. Bei der Kammgarnspinnerei
Bürglen sei man bereit, „die restlichen 50 Prozent zu kaufen“.
Ihm lägen „schriftliche Zusagen“ vor, miit denen der
Käufer eine Weiterführung nach der Übernahme bestätige.
Wie ernst es um die „Kammi“ steht, macht
GTCP-Sekretär Fritz Gfeller klar, als er Auszüge aus dem Protokoll
des Verwaltungsrates zitiert, die der Gewerkschaft zugespielt
wurden. „Alle da drin haben ein Recht auf die Wahrheit“,
sagt GTCP-Sekretär Dani Nordmann.
Aus dem Protokoll des Verwaltungsrates geht hervor,
dass Ems und Coop am 17. Februar 1983 Betriebseinstellung,
Liquidation oder Konkurs beschliessen, wenn innert einer
Frist ein Verkauf nicht zustande kommt.
„Ich bin erschüttert“, entfährt es Direktor Götti.
Erst, als er sich gefangen hat, stellt er fest: „Ich habe Vertrauen
zu Dr. Blocher. Der kann es sich nicht leisten etwas
zu sagen, was er nicht halten kann nachher.“
Rosmarie Flück, Präsidentin der Betriebskommission,
ist aufgestanden. „Dazu möchte ich sagen, dass wir hier,
auf welcher Basis auch immer, uns auf alle Fälle für unsere
Arbeitsplätze wehren.“
„Wir da drinnen haben nur ein Interesse,
und das ist die Weiterführung dieses Betriebs!“ ruft unter
Applaus der Personalchef in die Kantine.
Blocher spricht. Er steht im Gegenlicht am
Vorstandstisch, den man entlang der Gardeobenschränke
aufgestellt hat. Hinter Blocher, gut sichtbar durch die
Fensterwand, fährt mit leerem Deck lautlos ein Ausflugsschiff
vorbei. Das Schiff ist abgefahren... Ich drücke auf den
Auslöser, einmal, zweimal – im Raum ist‘s so verdammt still,
dass man‘s überall hören kann und Blocher, kaum ist
Schluss mit der Betriebsversammlung, sich auf mich stürzt.
„Ihr verdammten Journalisten!“ Er hat die
Pfeife nicht angezündet.
„Herr Blocher“, sage ich. „Sie wissen doch gar
nicht, was ich schreiben werde.“
Er schaut mich an, dickköpfig, seine Bubenaugen
verblüfft. Und geht mit der Mappe ab. Wortlos, die Pfeife
in der Hand.
„Er ist abgefahren.“ Nordmann lacht. „Mit Rolls
Royce und Chauffeur.“ Wir stehen im Büro von Direktor Götti.
Er hat uns zum Cognak eingeladen – drei Sekretäre und
einen Journalisten der GTCP. Aufgekratzt, wie Götti ist, fragt er:
„Warum kauft ihr den Laden nicht?“
Nordmann, mit Betriebsschliessungen der
Textilindustrie eingedeckt, winkt ab.
Das Lärmgebrause der Spinnereimaschinen
hat eingesetzt. Frau Schmucki rollt mit Wucht die
Fässer, die mit Garn gefüllt sind. Sie dreht sich. Sie lacht,
als ich eine Foto mit ihr mache.
Die „Kammi“, die über 10 000 Spindeln verfügt, hat 115
Beschäftigte. Sie ist zur Zeit voll ausgelastet.
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