Passagiere des Glücks weiter zurück
ZARA. DEMNÄCHST HIER
Am Kurfürstendamm lädt jetzt eine Modekette
ins Marmorhaus. 1937 sonnt sich hier das Publikum
mit starbesetztem Kino am Badestrand des
Lachens. Ist das Lachen im Kino anders gewesen
als das Lachen vor dem Fernseher?
Fritz Hirzel, Passagiere des Glücks. Wem Lachen auf
die Sprünge hilft. Essay. 140 Seiten. Berlin 2004
Zara. Demnächst hier. Ein Riesenplakat, das die Hausfassade
einhüllt. Jetzt ist es herunter. Zara, die spanische
Modekette, eröffnet im Marmorhaus. Die Fassade strahlt 2001
in frisch herausgeputztem marmorverkleidetem Glanz,
und der Kurfürstendamm ist um ein Kino ärmer.
1937 sonnt sich hier das Publikum mit starbesetztem
Kino am Badestrand des Lachens. Ist das Lachen im Kino anders
gewesen als das Lachen vor dem Fernseher?
US-Film. Im NS-Berlin.
Was lehrt ein Exkurs in die Unterhaltungswelt, bevor das
Fernsehen aufkam? Zumal im Jahr 1937,
das mit Depression und Naziterror so vollbepackt ist?
Was leistet ein Kino, das mit der Musical Comedy
einlädt der Realität ins Gesicht zu lachen?
Klickerdiklack. Nie hat Hollywood die Welt derart zum Tanzen
gebracht wie in jener Pleitezeit. Es wird gelacht in den
Filmpalästen. Haben wir das Verlangen der Kinogänger vorschnell
auf Eskapismus geschoben?
Nehmen wir als Beispiel, was Hollywood nach Europa
exportiert, nehmen wir einen Fall, der unseren Kontrast noch zuspitzt, und werfen wir einen Blick darauf, wie der US-Film ankommt
im NS-Berlin!
Lachsalven. Und Beifall.
„Lachsalven und Beifall quittierten einen amüsanten Abend.”
Das notiert die Filmwoche, als Piccadilly Jim mit Robert
Montgomery in Berlin herauskommt. 7. Juli 1937: „Lachsalven”
also! Solches Gelächter erfüllt das Marmorhaus,
Kurfürstendamm.
Das Kino hat Premierenabend, ein Erstaufführungstheater
an der Einkaufsmeile des Westens, 600 Plätze, breites Bühnenportal, logenfreie Parkettbestuhlung, vergoldete Rangbrüstung,
satte Braun- und Rottöne im Zuschauerraum.
Im selben Monat, im Marmorhaus erneut: „Das Publikum,
in strahlende Laune versetzt, lachte und klatschte begeistert.”
25. Juli 1937: Es läuft Pigskin Parade mit Jack Haley,
Petsy Kelly und Judy Garland. Wieder ist’s Edith Hamann, die
für die Filmwoche berichtet:
„Ein Film, so übersprudelnd von Jugend, Jux und
Tempo, gespielt von jungem amerikanischem Nachwuchs
mit prachtvoller Laune und herzlicher Natürlichkeit,
dass man von diesem Tempo und dieser Laune im Handumdrehen
mitgerissen wird, und aus dem Lachen noch
nicht herauskommt, wenn man das Kino verlässt.”
Swingend pfeift da oder dort der Kinobesucher
die Melodie noch fort, unterwegs zur U-Bahn, noch Teil der
Menge, die fast zögernd sich verflüchtigt, mitgerissen,
strahlend, prachtvoll in Laune gelacht.
Wir gehn bestimmt gerne bummeln
Es folgt ihr dritter amerikanischer Kinoabend im Marmorhaus. „Dankbar” ist die Schlussvokabel, auf die sie das
Erlebnis in der Filmwoche jetzt bringt:
„Das Publikum amüsierte sich köstlich und klatschte dankbar.”
12. August 1937: Gehn wir bummeln ist der deutsche
Titel für On the Avenue mit Alice Faye, Dick Powell, Madeleine
Carroll, Joan Davis und den Ritz Brothers.
„Wir gehn bestimmt gerne bummeln, wenn es so lustig
dabei zugeht wie in diesem Film, der ein typisches Beispiel für amerikanische Filme ist, die Revue, Tanz, Gesang und
Humor mit einer harmlosen, lockeren Handlung verknüpfen.”
Lachen meint auch Leichtigkeit, Leichtigkeit schliesst
Lachen mit ein. Es ist das erste Jahrzehnt des Tonfilms, als Hollywood sich derart verausgabt im Musical, im Lachen, im Swing, im hingetanztem Lebenswillen.
Aber was ergibt sich daraus für unsere Probe aufs
Exempel, im zugespitzten Kontrast des US-Films im NS-Berlin?
Das Lachen springt über. Es wird öffentlich gelacht,
mit überschwappenden Lachwellen, in einem hingerissenen
Publikum.
Es wird gemeinsam gelacht, noch hat kein Fernsehen
das Lachen abgesondert in private Wohn- oder Schlafzimmer.
Kinogänger tragen es nach Schluss der Vorstellung
mit sich hinaus auf den Kurfürstendamm, aber draussen
verlaufen sich mit ihnen Gelächter, gute Laune,
Gelöstheit.
Kleiner Joker. Grosse Veränderung.
Ist das die Ruhe, die sich auf jenen Sommer gelegt hat?
Leichtigkeit ist weggelachte Schwere, wo wir nur
„gerne bummeln gehn”, wenn es „so lustig dabei zugeht”
wie in dem Musical On the Avenue. Lachend
wird die Welt zurechtgerückt, für einen Augenblick.
Nur dass sie On the Avenue in Berlin zeigen, ohne dass
der Komponist – Irvin Berlin, „nichtarisch“! – genannt
wird. Nur dass sie in jenem Sommer Pastor Martin Niemöller
verhaften, das KZ Buchenwald errichten. Nur dass sie
Tage nach der Filmpremiere zu Tausenden Spalier stehen
um Unter den Linden „700 Jahre Berlin” im Kitsch
der Nazis zu feiern.
Plötzlich sieht’s aus, als sei das Gegenteil richtig.
Nichts springt über. Es bleibt im Halse stecken. Das Lachen.
Wieder einmal ist’s der kleine Joker, der die grosse
Veränderung auslöst. Täuschung heisst wohl das Schlüsselwort. Beginnt sie im Marmorhaus damit, dass der Komponist
des Musicals unterschlagen wird?
Wichtig ist immer auch die Situation, in der das Lachen
stattfindet. Ist sie einladend? Ist sie abweisend?
Gehn wir bummeln: Uns stört der Tritt der Stiefel nebenan.
Ist alles anders gewesen? Genügt das Mass an
Leichtigkeit in On the Avenue nur gerade im abgeschotteten
NS-Berlin?
In London ist Graham Greene als Filmkritiker für
das kurzlebige Magazin Night and Day weniger begeistert.
„A good film with some charming songs”, gesteht er,
wäre da nicht diese Madeleine Carroll!
Sie ist die reiche Erbin, die eine Broadway Show
infiltriert, aber herausbekommt, dass sie drin veräppelt werden
soll, rechtzeitig zurücktritt und sich drauf in den Regisseur
verliebt, den Dick Powell gibt.
Sie ist zu schwergewichtig, meint Graham Greene.
Und überdies ist sie so schrecklich treu. „But we don’t want
weight or fidelity in a musical comedy.” Nein, das
wollen wir nicht, Schwergewicht, Treue. Das schadet der
Leichtigkeit, dem Luftsprung des Lachens.
Siehe auch Delphi, Berlin
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