Passagiere des Glücks weiter zurück
WEGZULACHEN
Fadenscheinige Angebote! Restaurantschlepper, Taschendiebe! Sie weglachen, laugh off.
Keine Route ohne Wegelagerer, Beutelabschneider.
Aber das ist glücklicherweise nicht alles.
Have a good laugh! Auch das gehört zum Reisen.
Fritz Hirzel, Passagiere des Glücks. Wem Lachen auf
die Sprünge hilft. Essay. 140 Seiten. Berlin 2004
„Aufgepasst, denn es gibt immer Leute, die Geld von dir
wollen”, warnt Paul Hastings, 26, der 2001 in
Bangkok weilt. „Dies nur als kleiner Ratschlag, falls du
diese Stadt besuchen willst.”
Aber sogleich beschwichtigt er: „Wenn du drauf achtest und Annäherungen weglachst, die dir irgendwie seltsam
vorkommen, solltest du keine Probleme haben, denn die meisten Einheimischen sind erstaunlich freundlich und hilfsbereit.”
Sie weglachen, laugh off. Fadenscheinige Angebote! Restaurantschlepper, Taschendiebe! Hastings ist Londoner. Er war
im IT-Bereich im Verkauf beschäftigt. Dann ging er
für anderthalb Jahre auf den Trip, von dem er im Newsletter roundtheworldticket.com erzählt.
Der lachende Buddha I
Keine Route ohne Wegelagerer, Beutelabschneider. Aber
sie wegzulachen ist glücklicherweise nicht alles.
„Hatte einen Haarschnitt von einem Lady Boy (nein, dafür hab
ich nicht extra bezahlt, ich hab’s erst gar nicht gemerkt,
aber du siehst es an den Händen!!!) und amüsiere mich überhaupt köstlich mit all den Leuten, die ich auf meiner Reise
zufällig treffe.”
Die Schöne ist ein Mann! Der Schein trügt. Frivol alles.
Aber zur Reise gehört auch sich köstlich zu amüsieren,
having a good laugh. Es regnet unaufhörlich. Eigentlich wartet er
auf Visa für Laos und Vietnam.
„Bisher besuchte ich den Königspalast, Wat Po, den
Smaragdenen Buddha, den Glücklichen Buddha, den Stehenden Buddha, den Lachenden Buddha (und viele andere
Buddha-Typen, ich hatte keine Ahnung, dass es so viele gibt), Chinatown und Siam Square.”
Welchen Bauch der Lachende Buddha hat, erwähnt Hastings
nicht. Aber auf die Frage nach der grössten Schwierigkeit
bei seiner Reise antwortet er: „Heimkommen!!” Es ist September
2001, als er zurückkehrt. Reisen werden massenhaft
abgesagt.
Weglachen, sich köstlich amüsieren, der Lachende
Buddha: Sieht so aus, als seien das drei Grundmuster für Lachen
auf Reisen. Das erste steht für Abwehr, das zweite für
Öffnung. Aber für was steht das dritte Lachen, das von Buddha?
Dafür dass es nichts zu verstehen gibt? Dass alles
ohne Bedeutung ist?
Ein Zen-Witz sagt es so: Eine Schnecke möchte
den Fujiyama, den höchsten Berg Japans, besteigen. Sie fragt
den Zen-Meister um Rat. „Geh, Schnecke”, antwortet
der. „Aber geh langsam.”
Jon Krakauer besteigt den Mount Everest I
„Glücklicherweise”, schreibt Jon Krakauer, „waren
sowohl John als auch Beck mit bissigem Humor gesegnet,
und oft konnten wir uns gar nicht halten vor Lachen.”
Krakauer steht am Anfang der Expedition zum Mount
Everest, die er 1997 in seinem Bestseller Into Thin Air beschreibt
– In eisige Höhen im Jahr drauf in Deutschland.
Sich halten vor Lachen, schreibt Krakauer. To be in stitches.
Nur dass er mit Becks grimmigem Humor eben gerade
nicht glücklich wird!
Was der texanische Arzt beim Essen vom Stapel lässt, widert
Krakauer an: „Tiraden gegen bettnässende Liberale!” Er steht vom Tisch auf. Und wird in der Khumbu-Herberge Zeuge einer
Szene mit einem amerikanischen Trekker, was ihn ebensowenig
glücklich macht.
Hat rote Backen, der Trekker. „We hungry”,
verkündet er in seiner Baby-Sprache und mimt den Vorgang des Essens. „Want eat po–ta–toes, Yak bur– ger, Co–ca
Co–la. You have?”
Die Sherpa drauf fliessend englisch: „Would you like to see
the menu? Our selection is actually quite large. And I
believe there is still some freshly baked apple pie available, if
that interests you, for dessert.”
Aber dem Trekker geht es nicht in den Kopf, dass diese
Frau aus den Bergen mit ihrer dunkelbraunen Hautfarbe
perfekt akzentuierte englische Hochsprache redet. Er beharrt auf
seiner Baby-Sprache: „Men–u. Good, good. Yes, yes,
we like see men–u.”
Sollte etwas sein daran, dass einer reist, um sein Ich
loszuwerden und sich zu verlieren, so ist das dem Trekker hier
nicht ganz gelungen. „Sherpas”, meint Krakauer nur,
“bleiben den meisten Fremden ein Rätsel.” Vielleicht nicht einmal das.
Läuft hier etwas schief? Und wo beginnt so etwas?
Wo beginnt es lächerlich zu werden?
Lassen wir den Film zurücklaufen, so ergibt sich ein
unschwer zu entwirrender Pfad, auf dem Krakauer heraustritt aus
der Khumbu-Herberge und dann erst einmal in
Namche-Bazaar ist, von wo er zu Fuss in einer sich stauenden Karawane von Trekkern, Yak-Herden, rotgewandeten
Mönchen und barfüssigen Sherpas nach Lukla zurückwandert.
Drauf verschwindet Krakauer abrupt in einem
Helikopter, der ihn mit dem Rest der Adventure Consultant Everest Expedition in Kathmandu absetzt, von wo er als
Einzelpassagier mit Thai-Air-Flug 311 Bangkok erreicht,
das Reiseführer noch immer gern als Stadt der
Engel apostrophieren.
Schönes Girl in Bangkok gesucht
Bangkok? „Ich bin ein netter, freundlicher, höflicher Engländer
in den 30igern”, teilt 2003 einer der Faker der Newsgroup soc.culture.thai mit, „und ich werde nächste Woche in Bangkok
sein (ab Donnerstag, 6. November). Ich suche ein
schönes, intelligentes, Englisch sprechendes Girl.“
„KEIN Bargirl oder Katoey! Ich ziehe ein nettes, gewöhnliches
Girl mit einem realen Job und einem realen Leben vor.
Falls Du das bist und für einige Tage mein Guide sein möchtest,
wäre ich glücklich von Dir zu hören. Kontaktiere mich
bitte unter stephen.mail@starplace.com, schick wenn möglich
ein Foto. Danke, Stephen.”
Zu diesem Zeitpunkt warnt das britische Aussenministerium
auf seiner Website Touristen, in Thailand von Fremden Essen und Trinken anzunehmen, da sie mit Drogen versetzt sein
könnten:
„Es gab eine Anzahl von Fällen von Prostituierten aus dem Rotlichtmilieu von Bangkok und Pattaya, die Kunden zu
ihrem Hotelzimmer begleiteten, sie mit Drogen versetzten und Pass, Geld und Kreditkarten stahlen.”
Was dem Touristen auch in Zeiten des Internet bleibt,
sind alte Fragen, Fragen wie: Ist das real? Oder Realsatire?
Es ist der Tourist, der sich lächerlich macht. Dabei dient
Bangkok als Evergreen. In der Newsgroup fido.ger.sex reden Heidi
und Gordon über Reisemotive, ihr Beispiel ist ein alter Hut.
„Ein Bekannter von mir fliegt in den nächsten Wochen
ohne Begleitung nach Thailand. Was glaubst Du, wie die Leute
schmunzeln, wenn er es erzählt.” Das sagen sie sich
1995, als selbst ein Folgesatz wie dieser noch passabel scheint:
„Aber unsere feine Gesellschaft macht sich das recht
einfach, über diejenigen zu lachen, deren Verhalten weitenteils die
Folge der gesellschaftseigenen verdrehten Moral darstellt.”
Das mit der feinen Gesellschaft hat sich dann rasch erübrigt.
Jon Krakauer besteigt den Mount Everest II
Aber der Film mit Jon Krakauer läuft nicht rückwärts,
nach Bangkok zurück, er läuft vorwärts.
Bis zum Mount Everest und jenem Sturm, in dem
im Mai 1996 fünfzehn Leute umkommen. Bis zu den Gefährten
jenes mit bissigem Humor gesegneten Beck, die
ebenfalls für tot gehalten werden.
Bis der texanische Arzt langsam gehend zum letzten
Camp zurückkommt, halberfroren, blind, die Arme ausgestreckt
wie Frankenstein. Er überlebt. Und das tut er noch
immer. In Texas. Er ist keiner, der im Himalaya River Rafting
macht!
So kommt Murray Head in die Charts
„Eine Nacht in Bangkok und du hälst die Welt in deiner
Hand wie eine Auster.” So tönt’s im Song One Night in Bangkok,
der Murray Head 1985 in die Popcharts bringt.
„Die Bars sind Tempel, aber die Perlen sind nicht umsonst.
In jedem goldenen Kloster wirst du einen Gott finden. Und wenn du Glück hast, dann ist der Gott eine Sie. Ich kann einen Engel
an mir heraufgleiten fühlen.”
Es ist der Chor der Company, der das singt. Auf der Bühne.
Der Song stammt aus dem Musical Chess. Einem amerikanischen Schachmeister ist eins wie das andere – die Städte, die
Turniere...
„Ihr habt eine überfüllte, verschmutzte, stinkende Stadt
gesehen”, hält er dagegen. „Tee, Girls, Wärme, Süsse”? Ihn lockt
das nicht. “Ihr redet mit einem Touristen.”
Worüber Thais lachen
Ein lustiger Song? Hat Bangkok gelacht?
Worüber lachen Thais? Es ist ein heisser Nachmittag
im Mai, als Rainer Bolik sie lachen hört und
nichts versteht.
„Heftige, weithin hörbare Lachsalven, denen immer
wieder neue folgten, hatten mich herbeigelockt”, berichtet er
1992 im Polyglott-Führer.
„Vor mir ein Tisch, an dem laufend Speisen und zumeist
alkoholische Getränke serviert wurden, um ihn versammelt etwa ein Dutzend Thais, die sich, um Atem ringend, auf ihren Sitzen
bogen, sich mit Tränen in den Augen eins ums andere Mal auf die Schenkel schlugen und sich vor Lachen schier nicht
mehr zu halten wussten.”
In der Mitte des Tisches steht ein Kassettenrecorder.
Zu hören ist Phra Phayaom. Ein buddhistischer Mönch. Der
Mitschnitt einer Predigt. Eine Delikatesse des Humors.
Für Thais. Nicht für Touristen.
Als One Night in Bangkok 1985 die Charts aufmischt,
kommt ein neues Buch von William Golding heraus, An Egyptian Journal. Der britische Romancier notiert darin: „Nichts
ist so undurchdringlich wie das Lachen in einer Sprache, die du
nicht verstehst.”
Der Mann, der sich zutode lacht
Ein Mann lacht sich im Schlaf zu Tode, berichtet aus Bangkok Associated Press, „Thai Man Dies Laughing in Sleep”.
Der Mann ist Lastwagenfahrer. Er hat Eiscreme ausgefahren.
Damnoen Saen-um heisst er. Er ist 52. Er lacht zwei Minuten.
Er lacht schlafend im Bett. Seine Frau heisst Luan. Sie ist 51.
Zuerst murmelt ihr Mann, sagt sie. Dann lacht er. Sie
versucht ihn aufzuwecken. Aber er lacht weiter. Dann hört er auf
zu atmen. Es ist Dienstag, 19. August 2003, spät in der
Nacht, in ihrem Haus, im Muang Distrikt, in der Provinz Phrae,
470 km nördlich von Bangkok.
Hat er einen Herzanfall erlitten? Das ist’s, was die Autopsie nahezulegen scheint. The Nation zitiert Dr. Somchai Chakrabhand,
der stellvertretender Generaldirektor des Thai Mental
Health Departements ist:
„So einen Fall habe ich noch nie gesehen. Es ist aber
möglich, dass eine Person einen Herzanfall haben kann, während
sie in ihrem Schlaf zu stark lacht oder weint.”
Khom Chat Luek, ein anderes Blatt, zitiert Dr. Somsak
Wantaniwong. Er ist Arzt am Phrae Spital. Er ist der Mann, der Damnoen den Totenschein ausstellt. Wahrscheinlich sei
er an Herzversagen gestorben, sagt er.
Er könne bei der Todesursache noch nicht sicher sein, weil
Damnoen guter Gesundheit gewesen sei, keine Krankengeschichte
mit Herzproblemen gehabt und am Vortag normal
gearbeitet habe.
Und Luan, die Ehefrau? Sie ist die einzige Zeugin. Ihr Mann
hat sich totgelacht? Sie ist durch ein Klopfen an der Tür geweckt worden. An der Tür ist aber niemand.
Luan ist also bereits wach. Erst dann beginnt ihr Mann zu
lachen. Im Schlaf zu lachen. Wieder sagt Luan, sie habe versucht
ihn aufzuwecken, bevor er zu atmen aufgehört habe. Ist das
ein Kampf gewesen? Ihr Kampf um sein Leben?
Einen Lachtod gibt’s nicht. Aber genau das deutet sie
an, die Zehn-Zeilen-Meldung, die um die Welt geht. Sie erweckt
die Vorstellung, Damnoen könnte sich totgelacht haben.
In seinem Dorf dagegen verbindet sich dieses Ende mit
Aberglauben. Khom Chat Luek zitiert den Dorfvorsteher. Der sagt, Nachbarn glaubten, es sei der Teufel gewesen, der an die
Tür geklopft hätte um Damnoen mitzunehmen. Da dieser aber ein
gutes Leben geführt habe, hätte der Teufel ihm erlaubt
glücklich zu sterben.
Nein, Bangkok-Touristen werden nicht verstehen,
worüber Thais lachen. Bestenfalls bekommen sie mit, was früher einmal kurios gewesen ist, The Odd Truth, wie heute
ein Wochenangebot bei CBS News heisst: Totgelacht im Land
des Lächelns!
Aber das ist nicht, was die Nachbarn zu Damnoens Tod
andeuten. Lachen steht für Glück. Unverteufelt. Ein buddhistisches Sprichwort sagt: „Lachen ist die Sprache der Götter.”
Der lachende Buddha II
Der Lachende Buddha? Der gilt auch in Thailand als
Glücksbringer. Nur dass es sich dabei nicht
um Buddha handelt. Was die Statue zeigt, ist Hotei. Er ist
der dicke, kahlköpfige, lachende Wandermönch,
der einen Sack voller Süssigkeiten auf dem Rücken trägt,
die er an Kinder verteilt.
Er zieht es vor, heimatlos zu sein. Ein erleuchteter Vagabund
der Landstrassen. Aus derlei Lachen erwachsen Legenden.
Eine handelt von Yüe-shan. Der Zen-Meister steigt eines Nachts
auf einen Berg, blickt den Mond an und bricht in mächtiges
Gelächter aus. Noch in dreissig Kilometer Entfernung soll es
gedröhnt haben!
Leiser verfährt ein Zen-Witz, der davon handelt,
dass nichts unumstösslich ist: Ein Zen-Meister liegt im Sterben.
Um sein Bett herum versammeln sich seine Mönche alle,
vom ältesten Mönch bis zum Novizen.
Der älteste Mönch lehnt sich über das Bett um den
sterbenden Meister zu fragen, ob er ein letztes Wort des Rates
für seine Mönche habe.
Langsam öffnet der alte Meister die Augen, mit schwacher
Stimme flüstert er: „Sag ihnen, Die Wahrheit ist wie ein Fluss.”
Der älteste Mönch gibt diesen Satz der Weisheit weiter
an den Mönch, der ihm am nächsten sitzt, und so zirkulieren die
Worte durch das Zimmer.
Als die Worte zum jüngsten Mönch gelangen, fragt der:
„Was meint er, ‘Die Wahrheit ist wie ein Fluss’?”
Die Frage wird durch das Zimmer zurückgereicht an
den ältesten Mönch. Der lehnt sich über das Bett und fragt:
„Meister, was meinst du, ‚Die Wahrheit ist wie ein Fluss’?”
Langsam öffnet der Meister die Augen, mit schwacher Stimme
flüstert er: „OK, Die Wahrheit ist nicht wie ein Fluss.”
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