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SWING UNTER DEN NAZIS?


Hier wird sie konkret, die Frage: Swing unter

den Nazis? Ein Verhörprotokoll belegt, wie

das in Berlin-Charlottenburg gemeldete Bandmitglied

Bertalan Bujika 1938 die Original Teddies und

mit ihnen Teddy Stauffer dennunziert.



                              Zurzeit fehlt der Respekt vor dem „swing“, und

                              das lässt sich mit dem gegenwärtigen Zustand

                              unserer Demokratie vergleichen. Gleichgewicht

                              ist notwendig, um so etwas Empfindliches

                              wie eine Demokratie zu bewahren.

                                      Wynton Marsalis, Jazz, mein Leben, 2010


„Terrific“ nennt ihn The Melody Maker. Teddy Stauffer

swingt mit seinen Original Teddies in Berlin. Mit Hits vom

Broadway und aus Hollywood. Hier wird sie konkret,

die Frage: Swing unter den Nazis?

      „Das Tanzrepertoire der Kapelle Stauffer ist auch

heute noch 90% jüdisch“, gibt 1938 Bertalan Bujka (Bild) zu

Protokoll. Der Ungar, Musiker der Original Teddies,

denunziert seine Band.

      „Die in der Kapelle tätigen Ausländer sind ohne Ausnahme

gegen Deutschland eingestellt. In Schwizer Deutsch

werden bis in die heutige Zeit abfällige Witze gegen den Führer

Adolf Hitler erzählt.“

      Wie so oft hat der Denunziant opportunistische

Gründe. Er will aus dem Vertrag heraus. Er hat ein Angebot

aus Hamburg, wo die Gage höher ist.

      Das Einvernahmeprotokoll mit Bertalan Bujka wird

in Delphi, Berlin erstmals veröffentlicht. Ebenso ein Brief von

Teddy Stauffer, der sich gegen die Übergriffe einer

NS-Instanz verwahrt.



              Fritz Hirzel, Delphi, Berlin.Teddy Stauffer 1936–1939.

              282 Seiten, bebildert. Kaleidoskop. Paperback.

              Zürich 2001.


Nicht alle begeistert die Band. „Unerwünschte Musikdarbietung

der Kapelle Stauffer“: So steht’s über dem „Vermerk“,

mit dem eine Kontrollstelle der Reichskulturkammer aktiv wird:

„Der Landeskulturwalter / Gau Berlin / Landesleiter

für Musik / Aussendienst“. Woschke heisst der Beamte.

      „Am 1. September 1938“, rapportiert er, „überprüfte ich

das Repertoire der aus London am 1. September eingetroffenen Kapelle Teddy Stauffer und stellte fest, dass von 68

ausländischen Neuerscheinungen 53 Piecen jüdischer Herkunft

waren. Da aus Kreisen führender Kapellmeister in ersten

Berliner Häusern, die bereits eine Repertoireüberprüfung hinter

sich hatten, darüber Klage geführt wurde, dass die

Kapelle Stauffer trotz meiner Anwesenheit noch weiterhin

jüdische Musik darbot, setzte ich mich fernmündlich

mit Herrn Kormann bei der Reichsmusikprüfstelle in Verbindung,

und vereinbarte dieser mit mir für den 2. September

ein gemeinsames Anhören der Kapelle Stauffer. Herr Kormann

veranlasste nach Durchsicht und Abschriftnahme

der jüdischen Tanznummern die Direktion der Femina, Herrn

Direktor Pass, seine Darbietungen 50% deutsch

und 50% ausländisch zu halten, da es unmöglich auf Seiten

der Aufsichtsbehörde geduldet werden könne, dass

seine Kapelle als einzige Ausnahme zu 90% jüdische Musik

bringt. Herr Direktor Pass wurde auch davon verständigt,

dass die dargebotene heisse Musik unerwünscht sei und versprach derselbe sofort die Abstellung.“

      Aber der Beamte Woschke gibt sich damit nicht zufrieden.

      Er hat einen Musiker, der bereit ist auszusagen.

(Das Verhörprotokoll gehört zu den Beständen des Berlin

Document Center, die von den Amerikanern 1994 ans Bundesarchiv übergeben worden sind.)

      Also nimmt Woschke eine „verantwortliche Vernehmung

des in der Kapelle Stauffer tätigen Bertalan Bujka“ vor.

      Festgehalten hat er die Aussage mit Schreibmaschine

auf dem für Einvernahmen gedruckten Formular (das

Feld „Sichergestellte Instrumente“ rechts oben bleibt leer):

      „Ich bin seit viereinhalb Jahren mit der Kapelle

Stauffer in verschiedenen Europäischen Ländern u. a. auch

in Nordamerika auf Reisen gewesen. Das Tanzrepertoire

der Kapelle Stauffer ist auch heute noch 90% jüdisch. Da mir

durch meine langjährige Tätigkeit im Ausland die jüdischen Komponisten geläufig geworden sind, verbürge ich mich für meine

Behauptungen.“

      Bertalan Bujka ist mit Liselotte Frankowski verheiratet.

Sie wohnen an der Niebuhrstrasse 9, beim Savignyplatz.

      „Am 2. 9. 38 –“ Das ist der Tag, an dem der Beamte Woschke

mit Reichsmusikprüfer Kormann zusammen in die

Femina kommt. „– beim Nachmittagstee in der ,Femina´ war

Herr Stauffer zirka 1 Stunde vom Podium abwesend

und erklärte bei seiner Rückkehr, dass die ausländischen Schlagermappen von jetzt ab nach dem Dienst stets

von allen Musikern in seiner Garderobe abgegeben werden

müssen. Am Montag, dem 5. September 38 wurde

eine Probe angesetzt, bei der von den 30 deutschen Nummern 3 gespielt worden sind. Diese 3 Nummern kommen aber

nur dann zum Vortrag, wenn der jeweilige Komponist oder

Textdichter als Gast anwesend ist, im übrigen werden

nur Auslandsschlager dargeboten.“

      „Es ist in diesen Tagen vorgekommen, dass der

Geschäftsführer Knappe öfters Zettel an Stauffer überreichen

liess mit der Weisung, den grellen Ton des Blechsatzes

abzustellen.“

      „Stauffer fehlt es leider an Kraft, sich bei seinem

Orchester rücksichtslos durchzusetzen, sodass die Musiker

spielen wie sie wollen.“

      „Der grösste Teil der Orchestermitglieder spielt noch

heute mit Widerwillen deutsche Tanzmusik und ist bei

der Darbietung musikalisch vollkommen uninteressiert, wenn

nicht gar disziplinlos zu nennen.“

      „Stauffer hat in seinem Orchester 5 Arrangeure. Wenn

er guten Willens wäre, deutsche Musik zu bringen,

würde er in einer Woche über 20 für seinen Klangkörper

brauchbare Arrangements verfügen. In Hamburg und

Westerland hat der Schweizer Kapellensänger Toffel auf

Verlangen der Direktion deutsche Refrains

bringen müssen, während er in Berlin nur englisch singt.“

      „Erwähnen möchte ich noch, dass der 6 Jahre bei Stauffer

tätige reichsdeutsche Musiker Trommer sich im

Ausland politisch unzuverlässig benimmt; also z. B. beim

Verlassen Deutschlands stürzt er sich sofort auf

kommunistische Zeitungen, während er in Deutschland

zum Schein ,Das Schwarze Korps´ liesst.“

      Woschke schreibt „liest“ mit zwei „s“, als wollte er’s

reisserischer machen. Dann fährt er mit dem

Denunzianten Bujka weiter:

      „Die in der Kapelle tätigen Ausländer sind ohne

Ausnahme gegen Deutschland eingestellt. In langen Jahren

habe ich Gelegenheit gehabt, beim Verlassen deutschen

Bodens festzustellen, dass eine wüste Schimpferei

gegen Deutschland im Ausland einsetzte. In Schwizer Deutsch

werden bis in die heutige Zeit abfällige Witze gegen

den Führer Adolf Hitler erzählt.“

      „Gleichzeitig mache ich darauf aufmerksam, dass sehr

viele Mitglieder der Kapelle es mit den Devisenbestimmungen

nicht genau nehmen. So sind jetzt von London bei der

letzten Reise nach hier mehrere englische Kofferapparate

unverzollt nach Deutschland gebracht worden. Von

Stauffer, Guggisberg und Toffel weiss ich, dass sie je 1 Apparat

geschmuggelt haben.“

      „Das amerikanische und englische Notenrepertoire

wird von Stauffer in Schweizerfranc bezahlt und ihm in Paketen

von seinen Eltern aus Bern nach hier geschickt.“

      Unterschrieben ist die Aussage mit

      „v. g. u. Bertalan Bujka“ und

      „g. w. o. Woschke Aussendienst 0108.“

      Das Protokoll gelangt am 8. September „An die Reichsmusikprüfstelle z. Hd. Herrn Kormann“, spediert

„auf direktem Wege“ und zwar „mit der Bitte um

Kenntnisnahme und weitere Veranlassung“, alles „gemäss fernmündlicher Absprache“.


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