John Vanderbank, Karikatur auf Senesino, Cuzzoni und

Berenstadt in Händels Flavio oder Ariostis Coriolano, circa 1723.


Jeder eine Fackel in der Hand   weiter   zurück



LACHNUMMER FÜR „BIRD“


Für „Bird“ komponiert Händel eine Arie, in der

sein Tenor John „Beard“ sich schüttelt vor Lachen.

Das steckt an. Das ganze vollbepackte Theater

schüttelt sich vor Lachen, Parkett, Loge & Rang.

Da capo!



               Neil Coke, Jeder eine Fackel in der Hand. Roman.

               Sonntag, 6. Januar 1740


„Sweet Bird, that shunn‘st the Noise of Folly, most musical,

most Melancholy!” Süsser Vogel, der den Lärm der Verrücktheit

meidet, So voll Musik, voll Melancholie! Aber es ist mehr

als dieser eine Vers aus Miltons Gedicht Il Penseroso, was James Harris in Salisbury auf den Weg bringt.

      Es ist ein komplettes Libretto, das er in der Hoffnung

Händels Ohr zu erreichen mit der Postkutsche nach London

aufgibt. Oder eher der komplette Entwurf zu einem

Libretto.

      Es ist wichtig, denkt Harris. Es ist eilig. Es muss heute

noch weg. Und da es spät ist, hat er sich selbst aufgemacht

und das Paket vor The Mermaid Tavern dem Kutscher

eigenhändig übergeben.

      Das Libretto ist englisch, nicht italienisch. Libretti sollen in

Zukunft englisch sein. Das ist die Botschaft, die Harris aus dem Südwesten Englands an diesem Sonntagmittag im Winter

auf den Weg nach London bringt.

      Er ist dreissig, lebt in Salisbury, ein Literat, ein Hausmusiker,

der einer Familie von Rechtsanwälten und Grundstückmaklern

entstammt. Er ist in Salisbury aufgewachsen, hat dort die Cathedral School besucht, inzwischen ist er ein Kulturträger der Stadt.

      Studiert hat er, ohne abzuschliessen, Recht in Oxford

am Wadham College und in London am Lincoln’s Inn. Als sein

Vater vor acht Jahren stirbt, lässt Harris das Studium

fahren und kehrt nach Salisbury zurück.

      Er ist der Erbe, der älteste Sohn von James und Lady

Elizabeth Harris, er übernimmt den Familiensitz, mit

dem geerbten Vermögen kann er es sich fortan leisten ganz seiner

philosophisch-literarischen Schriftstellerei zu leben.


Letzten Sommer in Salisbury

Als Händel ihn im letzten Sommer besucht, gibt Harris

ein Konzert mit Vokal- und Instrumentalmusik, bei dem sich

die People of Quality aus Salisbury versammeln.

      Die Ouvertüre zu Alexander’s Feast eröffnet, das Anthem

O come let us sing unto the Lord beendet das Konzert. Dazwischen bittet er Händel selbst in die Tasten zu greifen, to touch

the Keys.

      Von dem Ereignis zehrt Harris lange, noch in diesen

Januartagen berichtet er dem Kunstsammler und Musikliebhaber

John Robartes stolz von Händels Besuch im letzten Sommer.

      Harris schreibt:

      Er hat uns mit Applaus überschüttet und war bester

Laune. Zwischen den Akten brachte ich ihn dazu

sich selbst ans Cembalo zu setzen. Er spielte nahezu eine

halbe Stunde.

      Und nachher spielte er ebenso lang noch auf der Orgel,

die ich in meinem Musikzimmer aufgebaut hab, seit ich das letzte

Mal das Vergnügen hatte euch hier zu sehen. Ich hab ihn

nie besser spielen gehört und die zahlreichen Zuhörer waren

voller Bewunderung.


Ein Theatermensch

Jetzt steht Harris da, atmet vom schnellen Laufen erhitzt

die eisige Luft ein, er hat es geschafft. Er steht da, steht vor The Mermaid Tavern, steht da und sieht zu, wie der Kutscher

auf den Bock steigt und mit seltsamem Gebrabbel auf die Pferde einredet, steht da und sieht zu, wie die Kutsche sich

bewegt, steht da und sieht zu, wie sie hinter The Mermaid

Tavern um die Ecke biegt.

      Als er das Libretto versandfertig vor sich liegen

gehabt hatte, war es zwölf Uhr mittags gewesen.

Im Begleitbrief an Charles Jennens, seinen Vermittler

in London, hatte er geschrieben:

      Ich füge der Post an Lord Shaftesbury in zwei Umschlägen

das Allegro & Penseroso von Milton hinzu, mit dem

Wunsch sie sofort an euch zu schicken. Ich hab jedem Lied

mehrere Sänger zugeordnet, eine Freiheit, die

Mr. Händel mir hoffentlich verzeiht.

      Sagt ihm bitte, ich hätte es nur zum eigenen Amüsement

getan, als ich transkribierte, und ich wünschte mir,

er möge in dieser Hinsicht ändern und hinzuerfinden, was

er für angemessen hält.

      Diese Zeilen hatte Harris gefaltet und versiegelt

den Papieren beigelegt, die jetzt an Lord Shaftesbury nach

London unterwegs sind, zu Handen von Jennens, der

sie zu Händel bringt, zusammen mit den Papieren mit Harris’

Bearbeitung zweier Gedichte von Milton.

      Im Original hat L’Allegro 152 Verszeilen, Il Penseroso 176.

Der Fröhliche. Der Nachdenkliche. Der Stoff ist undramatisch,

ohne Fabel, eine Abfolge von Bildern, die Stimmungen, Launen, Temperamenten nachgehen.

      Harris hat den Text in Soli für Sopran, Tenor und Bass

aufgeteilt, und selbst wenn die Zuordnung nur Spielerei ist, wie

er beteuert, so greift sie doch vor, als könnte Harris die

Vertonung kaum erwarten.

      Traut er der Sache nicht? Hat er sich genügend

vergegenwärtigt, dass Händel, sein Adressat, ein Theatermensch

ist, der Musik für die Bühne produziert, wo nicht

Stimmungen sich ablösen, sondern Charaktere in ihren

Gegensätzen aufeinanderprallen?


Sprachfleckenteppich

Wenn Händel L’Allegro, il Penseroso macht, ist es die

dritte weltliche Ode in Folge. In seinem Begleitbrief an Jennens

hatte Harris nochmal ausgeholt und geschrieben:

      Um Mr. Händel eine allgemeine Idee von dem ganzen

Stück zu geben, muss man bedenken, dass es nicht

nur ein grosser Kontrast von Freude bis Gedankenschwere ist,

der alles durchläuft. Beide Auffassungen wieder haben

ihre je eigene Art, die der grosse Poet sich elegant ausgedacht

hat, um sie einander gegenüberzustellen.

      Freuden hat er in ländliche Freuden und Freuden der

Stadt unterteilt. Zu den ländlichen Freuden gehören das Singen

der Lerche, die Jagd, die Szene der Männer am Pflug,

beim Mähen, die Milchmädchen, die Schäfer usw.

      Bei den Freuden der Stadt habt ihr die höfischen

Empfänge, die Parlamentssitzungen, die Bühnenstücke und

die feine Musik. Melancholie hat er nach dem

Tagesablauf unterteilt. Nachts haben wir die Nachtigall,

die Mondscheinspaziergänge, das Nachdenken

über grosse, erhabene Dinge im Elfenbeinturm – bei Tag

haben wir die sanfte Ruhe eines tiefen, dunklen

Waldes oder unsere Ergriffenheit bei feierlicher Kirchenmusik.

      Händel weiss die Qualität einer literarischen Vorlage

zu schätzen, sie braucht nicht in seiner Muttersprache geschrieben

zu sein. Beim Reden verwebt Händel sein Englisch mit

Einsprengseln aus Französisch, Italienisch und Deutsch und

breitet im Umgang des Alltags und auf Proben den

farbenreichen, leuchtenden Sprachfleckenteppich seiner

internationalen Musikerexistenz aus, nur für fashionable

hält er das nicht.


The Gentleman‘s Magazine

Fashionable ist die Mode der Italienità, die The Gentleman’s

Magazine im Januar mit einer Szene karikiert, in der

Miss Forward und Miss Underbred auftreten.

      Miss Forward: „Aber Leute von Stand, denke ich, reden

alle Französisch und singen Italienisch. Geht, wohin ihr wollt,

ihr hört nichts anderes als Cantatas, Concertos, Pianos,

Dolcesonos.”

      Miss Underbred drauf: „Und wer sind die alle?”

Miss Forward wieder: „Italienische Sänger, Kind! Gesellschafter

für die Leute von Stand!” Miss Underbred drauf: „Hey, ich

verstehe aber kein Italienisch.” Miss Forward: „Ich genausowenig.

Nicht einer unter zwanzig Leuten, die ich besuche.

Nur müsst ihr mit der Mode gehen, da liegt ihr nie falsch.”


Wasser mitten durch Strassen

So also nimmt, denkt Harris, die Geburt des englischen

Librettos hier ihren Anfang, hier, vor The Mermaid Tavern,

an der Endhaltestelle der Postkutsche, hier, in Salisbury,

wo Händel letzten Sommer aus der Kutsche gestiegen war, als

er zu Besuch bei Harris weilte, hier, in der Stadt,

über die Daniel Defoe in A Tour Thro’ Great Britain sagt:

      Salisbury ist eine grosse, gut gebaute, angenehme Stadt.

Sie sieht aus, als seien ihre Gründer von einem Extrem

ins andere verfallen, denn sosehr jede alte Stadt Wasser benötigt,

so hat die hier eher zuviel, läuft Wasser doch mitten durch

jede Strasse, was zur Schönheit der Stadt nicht beiträgt,

im Gegenteil, es hält die Strassen im Dauerzustand von Schmutz,

Nässe, Schlamm und Unkraut, mitten im Sommer sogar.

      Die Stadt liegt am Zusammenfluss zweier Flüsse,

der Avon und der Willy, jeder ist an sich schon beträchtlich, aber vereinigt sind sie sehr gross und grösser noch gar, wenn

sie die Nadder aufnehmen, einen dritten Fluss, der sich mit ihnen

bei Clarendon Park verbindet, etwa drei Meilen unterhalb

der Stadt, wenn sie in der Tiefe des Kanals und in weniger raschem Lauf nach Christ Church hinunterfliessen und sich im

Meer entleeen.

      Bis zwei Meilen unterhalb Salisburys sind sie schiffbar

gemacht worden, aber die Kraft des Stromes gestattet es nicht,

sie bis in die Stadt hinauf schiffbar zu machen.


Kleider für Handel mit Türkei

Salisbury und die Grafschaft von Witts insgesamt verfügen

über eine grosse Vielfalt an Manufakturen, auch die

zwei für das Bekleidungsgewerbe in England beträchtlichsten,

ebenso die für Flanel und Tischtuch und mehrere

andere Typen an Manufakturen.

      Zwei beträchtliche, in Salisbury erblühte Manufakturen,

die feines Flanel und weite Kleider für den Handel mit der Türkei, Salisbury Whites genannt, herstellen, geben den Armen

in der Gegend Arbeit.

      Klosterbezirk mit Kathedrale und Kanonen sind gross und

gut gebaut, sie sehen aus wie eine feine Stadt für sich.

Den grössten Charme in der Umgebung haben gewiss die

Salisbury Plains.

      Wo immer unser Auge sich auch hinwendet, wir sehen

schöne Schafherden, und jede Herde umfasst für gewöhnlich dreitausend bis fünftausend Schafe, mehrere private

Farmer in der Gegend halten zwei oder drei solcher Herden.


Der Ausblick? Ein Luftzug?  

Es ist eisiger Winter, und Harris trägt Händel L’Allegro,

il Penseroso an, ein Libretto. Der Fröhliche. Der Nachdenkliche.

Ist Sprache Musik? Ist Musik Sprache?

      Hier, in den Salisbury Plains, wo der Naturpoet in Händel

zum Zuge kommt, hier ganz besonders: Was ist es,

das den Klang verändert? die rauhe Stimme? die nächste

Wegbiegung, welche die Landschaft öffnet? der weite

Ausblick? der frische Luftzug?

      In Wiltshire, sagt ein gedruckter, zeitgenössischer Reiseführer,

ist die Luft angenehm und gesund, in den Niederungen

scharf und rein, in den Tälern mild, sogar im Winter. Riesige Schafherden wandern mit ihren Schäfern durch die

ausgedehnten Wildgebiete, Salisbury Plains genannt, wo sie

die einzigen Pächter sind, sehen wir von Bussarden,

Steinschmätzern und anderen einsamen Vögeln ab, die

von Menschen betretene Orte meiden.


Wie gut hörbar sie ist  

„Sweet Bird that shunn'st the noise of folly, Most musical,

most melancholy!” Händel schreibt mit Bleistift “Bird”

in die Partitur, als er das Anthem This is the day aufführt, es ist

John Beard, der die Arie Strength and Honour singt,

fast sechs Jahre ist das her.

      Die Sonne bricht auf einmal hervor, steht tief am Himmel,

und die Landschaft erstrahlt in Weiss, sie ist ob der

kahlen Bäume ganz durchsichtig geworden, und bald verglüht

die Sonne.

      Draussen vor der Stadt hat sie Jungen und Mädchen

trotz eisiger Luft ins Freie gelockt, einige werfen mit Schneebällen

nach der Kutsche, in der das Libretto von Harris als

Postsendung verpackt nach London abgeht.

      Ein kleines Mädchen lacht im Schnee, und es fällt auf,

wie gut hörbar sie ist, aber die Kutsche lässt die Kleine,

die Jungen, die Mädchen, die letzten Häuser rasch hinter sich

im Gewieher der Pferde, das widerhallt im letzten, hellen

Tageslicht, als sei es ein zu fröhliches Gespann für

die Wegstrecke, die sie sehr bald durch ausgedehnte Einsamkeit

führt.

      Und vor The Mermaid Tavern bleibt Harris, ehe er sich

auf den Nachhauseweg macht, noch einen Augenblick stehen,

schliesst die Augen und stellt sich vor, wie die Postkutsche

im Schnee rasch verschwindet, und glaubt auf einmal Beard zu

hören, John Beard, es ist ein magischer Moment, eine

Eingebung, es ist unzweifelhaft Beards Stimme, die im Gusto des kräftigen, nie süsslichen Tenors aus der Stille der

verschneiten Landschaft im Südwesten Englands hervorspringt,

als eilte sie Händels Vertonung voraus.

      Dabei hält Beard sich in London auf, am Freitag hat er in

Hickford’s Great Room, Brewer Street, Golden Square, gesungen,

an der Seite von Cecilia Arne, der Ehefrau des Komponisten,

sie geben Rosalinda von John Christopher Smith, Händels Sekretär und Chefkopist, dazu wirkt in einem Solo der Violinist

Michael Festing mit, der Thomas Arne vor einigen Jahren noch

auf der Geige unterrichtet hat.


Für Beard ein strenger Tag 

„Bird” ist Händels Tenor, wie Giuseppe Sammartini

Händels Oboist, wie Valentine Snow Händels Trompeter ist.

Letztes Jahr hat Beard am 13. Dezember Acis and Galatea,

am 22. November Ode for St. Cecilia’s Day, am 4. April

Israel in Egypt, am 16. Januar Saul gesungen.

      Und sieben Tage davor hat Lord Wentworth am 9. Januar

an den Earl of Strafford geschrieben: Mr. Händel probte gestern

ein neues Oratorio, das Saul heisst.

      Es muss für Beard ein strenger Tag gewesen sein.

Am Vormittag absolviert er die Kostümprobe für Saul, abends

tritt er im Drury Lane Theatre in Columbine Courtesan auf,

wo er The Spaniard ist, und zwischendurch bringt er noch rasch

eine Gefängnisheirat im Fleet Prison hinter sich.

      John Burnford, der für The Fleet zuständige Standesbeamte,

trägt ins Heiratsregister ein: John Beard of St. Pauls Covent Garden Gent and Henaritta Herbert of St. James Westminster. Ash.


Mit kratzender Feder

Henaritta? Nein, Henrietta natürlich! Sie und Beard haben

geheiratet, Lady Henrietta Herbert of Powis, geborene Waldgrave. Getraut hat sie Edward Ashwell, ein inhaftierter,

katholischer Priester, der ein wenig dazu verdient.

      Eine Welle des Klatsches umspült Beard, seit er mit

Lady Harriet Herbert verheiratet ist. Die Heirat ist ein Skandal.

Mit fliegender Feder schreibt Lady Mary Wortley Montagu:

      Hier gibt’s ein paar Geburten, aber weder Heiraten noch

Beerdigungen, die der Erwähnung wert sind. Lady

Townshend hat Bath mit einer Menge aufregender Szenen

unterhalten, und Lady Harriet Herbert die Teetische hier

mit frischem Klatsch für die letzten vierzehn Tage beliefert.

      Ich war eine der ersten gewesen, die über ihr Abenteuer

durch Lady Gage informiert worden war, der ein Pfarrer

an jenem Morgen sagte, Lady Harriet Herbert hätte ihn gebeten,

sie am nächsten Tag mit Beard zu verheiraten, der in den

Burlesken am Drury Lane singt.

      Er hat ihr diesen Dienst verweigert und sofort Lady Gage

Bescheid gesagt, die über diese Affaire erschrak (sie hat mit ihren Freunden kein Glück gehabt) und mich um Rat fragte.


Kein Mittel als sich vergiften

Ich sagte ihr ehrlich, ich hätte, da die Lady zu solchen

Amouren fähig sei, keinen Zweifel daran, dass sie, wenn sie

damit durch sei, sich und ihr Vermögen auch für einen

Mietkutscher oder Sänftenträger hergebe, und dass ich wirklich

kein anderes Mittel sehe, sie vor dem Ruin und ihre

Familie vor der Schande zu bewahren, als sich zu vergiften.

      Und ich bot ihr an, das Arsen beizusteuern und

eigenhändig zu verabreichen, falls sie an jenem Abend von ihr

zum Tee eingeladen werde.

      Da sie aber mit diesem Mittel nicht einverstanden war,

schickte sie nach Lady Montacute, Mrs. Dunch und allen mit

Boten erreichbaren Verwandten.

      Sie brachten Lady Harriet nach Twickenham, obwohl ich

ihnen sagte, das sei ein schlechter Ort für Mädchen. Inzwischen

ist sie nach London zurückgekehrt.

      Einige Leute glauben, sie habe geheiratet, andere,

Mr. Waldegraves (also ihres Bruders) Drohungen, es zu wagen

die Zeremonie durchzuziehen, hätten sie eingeschüchtert.

Aber das Geheimnis ist nun öffentlich. Und ich weiss nicht, wie

es ausgeht.


Mit der Affaire Schlitten fahren

Keinen Augenblick hat Lady Mary Wortley Montagu verloren,

den Skandal in ihrem Brief Lady Pomfret zu melden,

der Skandal ist perfekt, Lady Harriet wird in keinen Salon

mehr vorgelassen.

      Aber Händel fährt mit der Affaire Schlitten. Er komponiert für

Beard eine Arie, der Tenor schüttelt sich vor Lachen in der

Arie, was ansteckt, worauf das ganze vollbepackte Theater sich

vor Lachen schüttelt, Parkett, Loge & Rang. Da capo!

      Haste thee nymph heisst die Arie, nicht ein Wort hat

Harris geändert, und Miltons Verszeilen funkeln vor Musikalität.

      „Haste thee nymph, and bring with thee Jest and youthful

Jollity, Quips and Cranks, and wanton Wiles, Nods, and

Becks, and Wreathed Smiles, Such as hang on Hebe's cheek,

And love to live in dimple sleek; Sport that wrinkled Care

derides, And Laughter holding both his sides. Come, and trip

it as you go, On the light fantastic toe.”

      Beeilt euch, Nymphe, bringt Witz mit, jugendliche

Ausgelassenheit, Smartheit, Wortwitz, List, Verspieltheit,

Kopfverdrehen, Augenzwinkern, verstecktes Lächeln,

das der göttlichen Barfrau auf ihrer Backe steht und zu leben

liebt im glatten Grübchen dort, und Spass, der allen

Sorgenfalten spottet, und Lachen, das sich beide Seiten

hält. Kommt auf Spitzen, so ihr kommt, auf leichten,

fantastischen Zehen.


Der Eklat. Das Lachen.  

Das ist der Sprengsatz des Gelächters, das Händel im

Lincoln’s Inn Fields Theatre auslösen wird, wenn Beard am

Mittwoch, 27. Februar 1740 an der Rampe die Arie singt.

      Zwei Tage später schreibt ein Theatergänger

in The Daily Advertiser:

      Ich komme nicht umhin das Risiko zu erwähnen, das

der grosse Musikkomponist zur Unterhaltung seines

Publikums eingeht, wenn er uns die Meisterschaft seiner Kunst

nicht nur in Tönen zeigt, die er aufs exquisiteste für leichte

und feierliche Partien nutzt, sondern den Ausdruck des Lachens

(diese Eigenheit menschlicher Natur, wenn ich so sagen

darf) in seine Musik einzubringen wagt.

      Das gelingt ihm so meisterhaft, dass es der Grösse seiner Kunstfertigkeit ebenso zur Ehre gereicht, wie es die

Hörer unterhält, sofern der Eklat, den es auslöst, vorerst noch zurückgehalten werden kann und die Lachenden sich in

der Lautstärke ihrer Sympathie zurückhalten, bis der Chor einfällt.

      Mit der Arie verschafft Händel seinem Sänger die

Gelegenheit sich im Verbund mit dem Publikum in einem

Lachen auszuschütten, in dem die Skandalheirat

untergeht. Und Beard schafft es zu singen und zu lachen und

zugleich das Lachen über die Rampe zu bringen,

sodass das Publikum nicht anders kann als mitzulachen.

      Es erweist sich als Vorteil, dass Beard in Burlesken

auftritt, was die Ladies der Society seiner Ehefrau nicht verzeihen.

Aber Haste thee nymph ist nicht nur Händels Lachnummer,

es ist auch eine der schönsten Arien, die er für Beard komponiert.


Nicht übers Herz

Das Verrückte ist, Händel vertont L’Allegro, il Penseroso,

als er sieht, welchen Erfolg Comus, die dramatic opera nach Milton, Thomas Arne beschert, zugleich greift Händel mit L’Allegro,

il Penseroso zuletzt sogar auf Comus über.

      Im Libretto für Comus hat John Dalton 1738 das Original

ausgeweitet, aber zu Beginn des dritten Aktes lässt er aus Miltons Gedicht L’Allegro die ersten Verszeilen sprechen, nicht

singen, Haste thee nymph inklusive, bis und mit Come and trip

it as you go.

      Das sind die Verszeilen, die Händel in zwei Wochen

vertont. Und da es Beard ist, der in L’Allegro, il Penseroso und

in Comus auftritt, bringt er es nicht übers Herz, die Arie

von Händel in Thomas Arnes Comus nicht zu übernehmen, was

Harris nicht wenig amüsiert, als er die Sache entdeckt.

      1742 vermerkt das Manuskript von Comus die Händel-Stücke

genau an der Stelle, wo Dalton die Worte gesprochen

haben wollte. Vorerst aber, am 10. Januar 1740, im Drury Lane Theatre, tritt Quin als Comus auf, und Quin spricht

die Verse, noch ist Beard nur ein Bacchant. Als aber Beard

die Rolle des Comus übernimmt, singt er die Verse.

      Und 1742, als Harris in London ist, liest er in der Anzeige

des Drury Lane Theatre für Comus: Mit einigen zusätzlichen

Songs nach Milton, komponiert von Händel.


Leichtigkeit. Komik dazu

In zwei Monaten singt Beard in L’Allegro, il Penseroso

bei Händel im Lincoln’s Inn Fields Theatre die Lachnummer

Haste thee nymph.

      Sound, male, powerful and extensive hört sich

seine Tenorstimme an, sagt Charles Dibdin, gesund, männlich,

machtvoll und extensiv also. Seine Töne sind natürlich,

und er verfügt über genug Flexibilität um jedwelche Passagen

auszuführen, so schwierig sie sein mögen.

      Beard hat Leichtigkeit, hat Komik dazu. The Devil to Pay,

or, The Wifes Metamorphosed heisst das Stück von Coffey,

mit dem sich der Sänger im Drury Lane Theatre 1737 auch als

Schauspieler durchgesetzt hat. Und darum geht

es in dieser Ballad-Farce:

      Nell, die demütige, gehorsame Ehefrau von Jobson,

hat durch Hiebe gelernt, wer Herr und Meister ist.

Lady Loverule ist die gebieterische, halsstarrige Braut von

Sir John Loverule.

      Die zwei Frauen werden durch den Hokuspokus einer
Zauberei für eine Zeit lang ausgetauscht, aber von den vieren

weiss niemand davon.

      Lady Loverule wird bei Jobson platziert, der ihr ungestümes Temperament mit dem Gurt zügelt, und nachdem sie

auf die Untergebenheit von Nell reduziert ist, werden die zwei

Frauen ihren eigentlichen Ehemännern wieder zurückgegeben.

      Fraglich, ob Lady Mary Wortley Montagu ihre Meinung

über den Berufsstand von Beard je ändert, der in den Burlesken

im Drury Lane singt, als Henrietta Herbert ihn heiratet.

      Fraglos aber, dass Lady Mary Wortley Montagu

am Ende ihres Lebens, als sie das letzte Mal nach London

zurückkehrt, mit ihrem Buch Turkish Letters einen

Sensationserfolg landet.

      Während der Haremsbericht der einstigen Gesandtengattin

aus Konstantinopel mehrere Auflagen erlebt, hat

Lady Mary Wortley Montagu Gelegenheit mitanzusehen, wie

Beard sechs Jahre nach Henriettas Tod das Covent

Garden Theatre als Manager übernimmt, nachdem er die Tochter

von John Rich geheiratet hat, Charlotte Rich.


Händel-Sänger

Händel hat Beards Talent gleich erkannt und den Tenor

gefördert, lange bevor Beard, zwanzigjährig, im Covent Garden

Theatre berühmt wird, wo er Gaillards Jagdlied With Early

Horn populär macht, ein Markenzeichen von Beard.

      Das ist 1736 in der Pantomime The Royal Chase,

or, Merlin’s Cave with Jupiter and Europa, Leveridge gibt

den Merlin, Rich alias Mr. Lun den Harlequin.

      Beard, gerade mal fünfzehn, singt da bereits in Esther.

Später reüssiert er unter Händel als Silvius in Il Pastor fide,

an Opera intermix’d with choruses, der Händel im Covent Garden Theatre am selben Abend Terpsicore vorausschickt,

A new Dramatick Entertainment in Musick, an Opéra-ballet

in the french style, das Händel eigens für Sallés

Tanz-Company komponiert hat.

      Beard singt unter dem Komponisten mehr Händel-Partien

als jeder andere Sänger, er gestaltet Rollen in zehn

Opern, Lurcanio in Ariodante, Oronte in Alcina, Amintas

in Atalanta, Varus in Arminio, Vitalian in Giustino,

Fabio in Berenice.

      Aber ein ausschliesslicher Händel-Sänger wird Beard

nie, stets tritt er auch in Ballad Operas, Pantomimen, Burlesken

und ernsthaften Stücken auf. In The Beggar’s Opera

von 1737 ist er ein populärer Captain Macheath gewesen.

      Seither gehört er der Drury Lane Company an.

Im selben Haus wird er auch die Titelpartie in Comus, der

Masque nach Milton, singen, die Thomas Arne vertont

und im Drury Lane Theatre 1738 herausgebracht hat. Sein

Librettist John Dalton hat das bereits 1634 uraufgeführte

Original erweitert. Er lässt Comus zu Beginn des dritten Aktes

Verszeilen aus L’Allegro sprechen. So kommt es, dass

Beard Miltons Worte zuerst spricht.


Theatermensch. Perückenlachen.

Vor The Mermaid Tavern, lacht Harris. Gibt es einen

schöneren Ort um die Anglisierung des Librettos auf den Weg

zu bringen? Natürlich ist ihm bekannt, dass Händel ein

Theatermensch ist. Händel weiss, welche Leute er zu einer

Dinnerparty einlädt.

      Händel hat ein Flair dafür sich selbst zu inszenieren,

sich selbst und sein Perückenlachen. Es ist dieses Perückenlachen, das im Klatsch ein schier unerschöpfliches Echo findet,

am schärfsten in der Anekdote mit der Sopranistin Francesca

Cuzzoni, die 1722 am King's Theatre in Ottone debütiert.

      Die Sängerin macht bei der Probe Einwände gegen

ihre erste Arie Falsa Imagine. Aber Händel hält das kurze,

ruhige Stück mit einfacher Continuo-Begleitung dem

Drama für angemessen und stellt seine neue Primadonna

in den Senkel.

      „Oh! Madame, je sais bien que vous êtes une véritable

diablesse, mais je vous ferai savoir, moi, que je suis Beelzebub,

le chef des diables.” Er weiss, dass sie ein wahrer Teufel ist,

aber er ist der Oberteufel.

      „You want a fresh air?” Keine neue Arie, frische Luft

bekommt die Cuzzoni. „I give you some fresh air!” Er fasst die Primadonna um die Hüfte, hebt sie hoch und droht,

wenn sie noch ein Wort sage, sie aus dem Fenster zu werfen.

      Cuzzoni hatte eine sehr angenehme und klare

Sopranstimme, eine reine Intonation und einen schönen Triller,

sagt Johann Joachim Quantz, der sie in Admeto

1727 gehört hat.

      Und weiter sagt Quantz:

      Ihre Reichweite erstreckte sich vom mittleren bis

zum hohen C. Ihre Verzierungen erschienen ungekünstelt

dank ihres feinen, angenehmen Vortragsstils, mit

seiner Zärtlichkeit gewann sie die Herzen der Zuhörer.

      Die Passagen in den Allegros wurden nicht mit der grössten

Leichtigkeit gebracht, aber sie sang sie sehr voll und

angenehm. Ihre Schauspielerei war irgendwie kalt, ihre Figur

für das Theater unvorteilhaft.


Kälte im ganzen Königreich

„Und”, hatte Harris, als die Post abging, vor The Mermaid

Tavern den Kutscher gefragt. „Wie ist das Wetter

in London?” Und der Kutscher hatte nur müde seine Wollmütze hochgezogen, die Schultern gezuckt und mit herzlicher,

rauher, etwas belegter Stimme gesagt: „Kälte, Sturmwind und

Regen im ganzen Königreich.”

      Nichts anderes meldet The London Daily Post. We have

had a very great Fresh here, attended by Storms of Wind and

Rain, that has been general in the Kingdom. In der Themse

waren Schiffe gesunken, sie hatten Kohle, Getreide und Wein an

Bord, der Preis der Kohle steigt und steigt.

      Vorgestern Morgen hatten die Londoner sich die Augen

gerieben, an vielen Stellen war die Themse über Nacht zugefroren, Boote, Lastkähne und Entladeschiffe konnten nicht mehr

fahren und aus dem West Country nicht mehr zurückkehren.

      The Daily Gazetteer berichtet:

      Zahlreiche Gewehrschützen versammelten sich an

mehreren Treppen, die zur Themse führten, um Enten, Möven

und Strassengänse zu schiessen, die in grosser Menge

erschienen.

      Von ihnen wurden viele getötet, obwohl sie nicht weggebracht

werden konnten, da der Frost den Lauf von Ebbe und

Flut noch nicht verhinderte und Hunde, um sie zu holen, nicht von Nutzen waren, da die Eisflächen, auf denen die Vögel

sich niederliessen, zu schwach waren, als dass Hunde sie hätten betreten können.


Eingeschlafen. Erfroren.

Eine arme Frau, die vom Leadenhall Market nach

Stratford zurückkehrte, hatte das Unglück, von einigen

Fussballspielern in Whitechapel umgeworfen zu

werden und sich ein Bein zu brechen.

      Eine andere Frau wurde in einem der Felder bei Hoxton

am Morgen tot in einem Graben gefunden, aber Anzeichen von

Gewalt waren an ihr nicht zu entdecken, und einige der

Leute, von denen sie am Abend zuvor weggegangen war, sagten,

sie sei schwer betrunken gewesen, hätte den Weg verfehlt

und sei eingeschlafen und erfroren.

      Ein armer Mann, der weder Geld noch Freunde hatte, war

Freitagnacht gezwungen gewesen, in einem der

Müllschuppen an der Tyburn Road zu übernachten, und am Samstagmorgen dort tot aufgefunden worden, obwohl

er sich mit Müll und losen Abfällen zugedeckt hatte.

      Aber ein Müllschuppen an der Tyburn Road war

schliesslich nicht die Golden Lion’s Tavern bei Temple Bar,

wo sie heute die Ode for New Year’s Day geprobt

hatten, getextet von Colley Cibber, Esq., Poet Laureat

to His Majesty, in Musik gesetzt von Dr. Green,

Master of His Majesty’s Band of Musick.

      Es singen Gentlemen der Chapel Royal seiner Majestät,

es spielt His Majesty’s Band of Musick. Morgen treten

sie im St. James Palace auf, in der Great Council Chamber

vor Ihrer Majestät.


Feigheit legt uns bloss

Vor The Mermaid Tavern, lacht Harris. Er ist nach Hause

zurückgekehrt in raschen Schritten, nicht der Post,

der Kälte wegen, zuhause ist es, als würde an diesem Tag

nichts mehr geschehen.

      Es ist Abend und Nacht geworden, ein wenig hat er

zu lesen noch versucht, nach einer halben Stunde aber

aufgegeben, obwohl er nicht müde ist, er hat an

diesem Tag nur einfach gefunden, was er gesucht, und

eingelöst, was er sich vorgenommen hat.

      Was er liest, ist ein Abriss, in dem David Hume sein

Erstlingswerk vorstellt, A Treatise of Human Nature, Being An

Attempt to Introduce the Experimental Method of Reasoning

Into Moral Subjects. Eine Abhandlung über die menschliche Natur.

Der Versuch die experimentelle Methode auch auf

geistigem Gebiet einzuführen.

      Das Buch, das Harris liest, behandelt in drei Teilen

den Verstand, die Leidenschaft und die Moral. Hume hat das

Buch vor Jahresfrist in London herausgebracht,

Ende Jahr erst ist es übel verrissen worden. Aber Hume, der

Schotte, achtundzwanzig, unverheiratet, trägt es

mit Gelassenheit.

      Es ist diese eine Stelle, die Harris angesprochen hat,

und er hat sie, was sonst nicht seine Art ist, am Rand mit Bleistift angestrichen, eine Stelle im Abschnitt zu Laster und

Tugend, in der Hume schreibt:

      Wir gewinnen leicht durch die Grosszügigkeit anderer,

sind aber immer in Gefahr durch ihre Habgier zu verlieren. Mut verteidigt uns, aber Feigheit legt uns bloss für jeden Angriff.

      Vor The Mermaid Tavern, lacht Harris. Er hat das Libretto

losgeschickt, wenn das kein Anstoss ist! Eisiger Nachtwind fegt in Salisbury um das Elternhaus, das jetzt sein Haus ist,

er liegt im Bett und träumt.

      Nacht. Ein Salon. Gedämpftes Licht. Ein Billiardtisch.

Auf der Spielfläche liegt eine Kugel, eine andere bewegt sich

rasch auf sie zu. Sie prallen zusammen, und die Kugel,

die eben noch ruhig dagelegen hatte, setzt sich jetzt in Bewegung.

      Ist das ein Beispiel für die Beziehung von Ursache

und Wirkung? Das Beispiel, sagt Hume, ist so perfekt wie jedes

andere, das wir aus der Empfindung oder vom

Nachdenken her kennen.


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