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KAPITEL XXI



               Fritz Hirzel, Komplize, Roman. Bei Limmat erschienen

               unter dem Titel Schindellegi, Paperback, 308 Seiten,

               Zürich 1988.


Die Motoren der Boeing 747 dröhnten auf. Bob verspürte

etwas wie Wehmut, während er den Rücken gegen die Sitzlehne

drückte, die aufrecht gestellt war. Flug 101 der Swissair

nach New York war gut besetzt. Fasten your seat-belt. No smoking.

Langsam rollte die Maschine zur Startbahn. Ich glaube,

ich habe das Schlimmste hinter mir. Bob streckte sich. Was kann

mich nach dem, was in den letzten Tagen geschehen ist,

noch umwerfen? Er wusste nicht warum, aber er fühlte sich sehr

sicher. Es war Bob fast unheimlich. Eines, dachte Bob,

eines tut trotz allem weh. Er hatte von Fränzi nichts mehr gehört.

Er legte die Hände auf die Armlehne. Rechts neben ihm

sass ein Mann im Anzug, den Aktenkoffer auf den Knien, links

ein älteres Ehepaar, das eine in Minnesota verheiratete

Tochter besuchen wollte. Bob atmete aus und langsam wieder ein.

      Flühmann hatte ihn zum Flughafen gebracht.

      Ihre letzten, eher verlegenen Worte im Terminal B

an der Bar. Flühmann war fast rührselig geworden. Er hatte

Féchy bestellt. Ein Glas. Und gleich darauf noch eins.

Sie hatten angestossen.

      „Auf Sandy”, hatte Flühmann gesagt. „Du wirst sie finden.”

      Bob war nicht sicher, ob er in New Jersey oder sonstwo nach

Sandy suchen würde. Er sah Max flüchtig an. Er sagte:

      „Auf den Einfall mit der Kühltruhe, auf unsere Sommernacht

in Schindellegi und den ganzen verdammten Rest. Ich hoffe, du wirst

mit ihm fertig.”

      „Weisst du, was heute Mittag los war? Es hat bei uns

gebrannt. Das Vestibül. Das Treppenhaus. Die Garage. Das halbe

Haus ist ausgebrannt.”

      „Und Vilma?”

      „Sie war gerade nicht da.”

      „Hat sie’s noch nicht erfahren?”

      „Inzwischen ja. Sie ist jetzt dort. Ich hätte sonst nicht

weggekonnt. Ein Dutzend Leute. Die stehen noch immer im Haus

herum, im Garten. Feuerwehrmänner, Polizei, Versicherungsinspektoren.”

      „Detektiv-Wachtmeister Keller?”

      „Auch er. Natürlich.” Flühmann lachte überdreht. „Du

glaubst gar nicht, wie rasch die Leute da sind. Die Feuerwehr

brauchte keine fünf Minuten.”

      „Und du glaubst, es sind die zwei –”

      Flühmann nickte. „Einer hatte Zündholzer dabei.”

      „Hast du im Hotel Zürich angerufen?”

      „Mr. Bonato? Mr. Bonato aus New York?” Flühmann

war vornübergekippt. Er machte die Stimme der Telefonistin nach.

„Sie sind leider zu spät. Mr. Bonato ist heute Morgen abgereist.”

      „Ist das Palmieris Bruder? Er sitzt bestimmt im selben

Flug”, sagte Bob.

      „Noch ein Glas”, rief Max. Dabei schwankte er leicht.

„Nimmst du mit mir noch eins?”

      Bob hatte sein zweites Glas nicht angerührt.

      „Zwei”, rief Flühmann. „Zwei Féchy.”

      Er betrinkt sich, dachte Bob. Der Barkeeper nickte,

leicht verwundert.

      „Mit der Ruine werde ich fertig”, sagte Flühmann, völlig

nüchtern. „Wenn du nicht singst –”

      „Was ist das?”, fragte Bob. Er nahm den Scheck, den

Flühmann ihm zugeschoben hatte.

      Der Barkeeper brachte zwei Féchy.

      Bob hielt den Scheck in der Hand. Er hatte ihn zweimal

gefaltet. Davon könnte ich ein halbes Jahr lang leben, vielleicht

sogar länger. Nimm’s nicht! sagte eine Stimme in Bob.

Willst du mit solchem Geld dein Leben neu beginnen? Nein,

das wollte Bob nicht. Drüben. Zu Hause. Er hatte

plötzlich keine Sorge mehr, irgendwen zu finden, der ihm

Arbeit oder Geld geben würde, wenn es soweit war.

      Er hatte Flühmann den Scheck zurückgesteckt. Jetzt

bereue ich es schon, dachte Bob. Die Maschine beschleunigte.

Sie schoss los. Ein einziges Gedonner. Kraft. Gewalt.

Dann hatten sie abgehoben. Leicht. Alles schien auf einmal

leicht. Der Himmel. Der Abschied. Ich bin noch einmal

davongekommen, dachte Bob. Er sah die Alpen, den länglichen

See. Wolken. Er zog sein Manuskript hervor. Die Kopie.

Er hatte – immer hatte Bob Angst gehabt, sein Manuskript könnte

zerstört werden, abhanden kommen oder sonst durch

eine absurde Tat verloren gehen. 79 Seiten immerhin. Drei

Monate Arbeit. Bob wog sie in der Hand. Er begann

zu lesen, zog einen Bleistift aus der Innentasche des Kittels

und korrigierte ein Wort in der obersten Zeile. Und hier.

Das musste geädert werden. Bob kratzte sich an der rechten

Hand. Er hatte noch viel zu tun.


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