Militär schiesst auf streikende Arbeiter.
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STREIK VON 1875
Fritz Hirzel, Die Schlacht am Gotthard,
Magazin, TagesAnzeiger, Zürich, 14. Juli 1973
Am 7. August brachte die in Zürich erscheinende
sozialdemokratische Tagwacht, das Organ des Schweizerischen
Arbeiterbundes, unter dem Titel Die Unruhen in Göschenen
folgende Originalkorrespondenz aus dem Kanton Uri:
„Die italienischen Tunnelarbeiter erhielten einen Lohn von 3 1/2–4
Fr. per Tag bei einer achtstündigen Arbeitszeit. Wenn nun
die Leute in einem Kosthause assen, dann mussten sie 2 Fr. per
Tag bezahlen und fürs Schlafen 1 Fr., so dass ihnen fast
nichts übrig blieb, trotz ihrer harten Arbeit. Nun kommt aber noch
dazu, dass die Leute nicht mit gangbarem Gelde, sondern mit Gutscheinen ausbezahlt wurden. Die Wirte und Spezereihändler
aber konnten natürlich diese Scheine nicht annehmen
und auswechseln und noch Bargeld herausgeben, denn sie
konnten ihre Waren auch nicht mit solchen Gutscheinen
zahlen. Einige nahmen die Scheine an, um nur die Kundschaft
der Arbeiter zu haben, andere aber gaben nichts dafür.
Nun hatte der Unternehmer, Favre, selbst ein Magazin
errichtet, in welchem mit diesen Gutscheinen Nahrungsmittel
gekauft werden konnten, aber die Arbeiter mussten im
Magazine des Herrn Favre mehr bezahlen als anderswo. Man
kann sich denken, dass die sparsamen Italiener ob dieser
Ausbeutung sehr unzufrieden werden mussten und sie waren
auch gewiss dazu wohl berechtigt.
Nun aber kommt noch die ungesunde Arbeit dazu.
Die Arbeiter müssen dreiviertel Stunden weit in den Tunnel
hineingehen, ehe sie zu ihrer Arbeitswerkstätte gelangen.
Die Ventilation war nicht im gehörigen Zustande, so dass die
Arbeiter oft stundenlang in Rauch und Dunst arbeiten
mussten. Auf eine frühere Reklamation wurde den Leuten
versprochen, die Sache in Ordnung zu bringen, was
aber nicht geschah.
Als nun letzter Tage eine Anzahl Arbeiter sich weigerte, in
den dicken Rauch arbeiten zu gehen und das frühere
Versprechen, die Ventilation zu verbessern, in Erinnerung
brachten, ihnen aber von der anderen Seite mit Abzug
gedroht wurde, brach die längst schon vorhandene Unzufriedenheit
zur hellen Flamme aus. Sofort wurde die Arbeit eingestellt
und erklärt, man werde nicht eher wieder arbeiten, bis der Lohn
um 50 Cts. per Tag erhöht, alle 14 Tage in gangbarem
Gelde ausbezahlt und die Luftleitung in gehörigen Zustand
gesetzt werde.
So durchaus berechtigt diese Forderungen auch waren,
so wenig Aussicht auf Erfolg konnten sie haben, da
von einer Organisation keine Rede war und deshalb auch die
Einigkeit fehlte. Ein Teil der Arbeiter schloss sich
den Forderungen nicht an und um nun diese von der Arbeit
abzuhalten, besetzten die Streikenden den Zugang zum
Tunnel und liessen niemanden zur Arbeit hinein.
Nun wendete sich Favre an die Urner Regierung
und versprach, wie man hier allgemein sagt, derselben 20 000 Fr.,
wenn sie ihm Militär zur Verfügung stelle. Die Regierung
ging darauf ein und es wurden etwa 20 Mann Freiwillige durch
den Weibel mit grossen Versprechungen gewonnen, unter
das Kommando des Polizeiwachtmeisters von Altdorf gestellt
und per Wagen nach Göschenen geschickt. Später
schickte die Regierung noch 100 Mann nach.
In Göschenen wurde die Anrede des Gemeindepräsidenten
von den erregten Italienern totgeschrien, als er sie kaum
angefangen hatte. Die Arbeiter waren nämlich aufs Äusserste
erbittert, dass Herr Favre anstatt mit ihnen einfach zu
unterhandeln, ihnen die Behörde und Militär auf den Hals
hetzte. Der Polizeiwachtmeister forderte sie auf, den
Tunnelzugang zu räumen und die anderen arbeiten zu lassen,
was aber schwerlich verstanden wurde. Nun wurden
Steine und Messer auf die Soldaten geworfen und diese
erhielten Befehl einen Bajonettangriff zu machen.
Die Italiener zogen sich jetzt auf eine Anhöhe zurück unter
fortwährendem Steinwerfen und nun erfolgte Feuer.
Die ersten Schüsse gingen in die Luft und wurden von den
Italienern mit Hohnlachen empfangen. Hierauf erfolgte
eine zweite Salve, die 4 Mann tötete und etwa 8 verwundete.
Einer der Getöteten hinterlässt Frau und 6 Kinder.
Die Arbeiter zerstreuten sich nun, und einige Hundert gingen
über den Gotthard, darauf verzichtend, sich erst schamlos
ausbeuten und dann erschiessen zu lassen.
Die nachgeschickten 100 Mann gingen des anderen Tages
wieder zurück und nahmen 13 Gefangene (zwei und zwei
zusammengebunden) mit, welche im Zuchthaus und Arrestlokal
untergebracht wurden.
Das Urner Landvolk gibt den Italienern mit ihren
Forderungen recht und befürchtet, dass es bei der Wirtschaft
des Herrn Favre noch stärker losgehen werde.
„Im übrigen alles ruhig“
Die Vermutung, Favre habe der Urner Regierung 20 000 Fr.
geboten, könnte von einem Telegramm ausgegangen
sein, das Stockalper, Favres Oberingenieur in Göschenen,
bei Streikbeginn nach Altdorf schickte. im Urner
Staatsarchiv ist dieses Dokument allerdings nur in einer
„Abschrift“ erhalten.
„Mineurs font grève et empèchent travailleurs. Envoyez 50
hommes armés et frs. 30 000.–
Stockalper.
„Die Mineure streiken und behindern die Arbeiter, Sendet 50
bewaffnete Männer und 30 000.– Fr.
Stockalper.
In einem anderen Telegramm, das nach dem bewaffneten
Einsatz gegen die Streikenden aufgegeben wurde,
gab ein gewisser Gisler um 16.15 Uhr folgenden Bericht von
Göschenen nach Altdorf:
„Arretierte bisher 12, werden mit Eskorte von 20 Mann
diesen Abend cirka 10 Uhr in Altdorf ankommen. Bisher 3
Tote, 5 Verwundete ermittelt. Im übrigen alles ruhig,
dank der militärischen Massregeln.“
Unbezahlte Rechnungen
Was immer Favre der Urner Regierung versprochen haben
mochte, eine Rechnung, welche das Cantons-Säckelamt fast ein
Jahr nach dem Streik an die Unternehmung sandte, wurde
trotz zweimaliger Aufforderung nicht bezahlt und drei Jahre später
vor dem Bezirksgericht Uri eingeklagt.
Rechnung
an Herrn Louis Favre & Cie.
in Altdorf für Unterdrückung des Arbeiter-Aufstandes in
Göschenen am 27. und 28. Juli 1875
Erstes Aufgebot
an Wachtmeister Seb. Frösch v. Altdorf
für Besoldung der erstmalig nach Göschenen beorderten
Civil & Polizei-Mannschaft
8 à fr. 30 & 1 à fr. 35
275.––
für Fuhrwerk zum Transport der Mannschaft
78.40
353.40
Zweites Aufgebot
an Kriegscommissär J. Jauch
für Besoldung der requirierten Militär-Mannschaft
2105.75
für Fuhrwerk zum Transport der Mannschaft, Waffen etc.
86.––
an div. Gemeindewaibel für Aufbieten der Militär-Mannschaft
25.––
2216.75
Summa Frk.
2570.15
Altdorf, den 1. Juni 1876
Cantons-Säckelamt von Ury
Emil Luchser, Adjunkt
„Ohne Kommando ins Volk
hineingefeuert“
Während die Urner Untersuchungsbehörden lediglich gegen
die verhafteten italienischen Arbeiter ermittelten, wurde
andernorts die Kritik am Einsatz des Freiwilligenkorps immer
lauter. So veröffentlichte Der Landbote am 26. August
ihm zugegangene Mitteilungen, welche die Urner Bürgerwehr
vollends als Freischärler erscheinen lassen.
„Die Ansicht, dass die ‚Berufung‘ der Freiwilligen zumindesten
eine kuriose Geschichte gewesen, hat sich in den letzten
Tagen durchaus bestätigt. In einem Kollegium., das aus Zürchern
und Innerschweizern bestand, wurde jüngst der ganze
Vorgang von einem der letzteren kurz in folgender Weise erzählt,
ohne dass ihm von seinen Landsleuten widersprochen
worden wäre: Die Regierung von Uri habe, von Favre aufgefordert,
sofort Freiwillige in Altdorf (und also nicht in Göschenen
und Umgebung!!!) durch Generalmarsch aufrufen lassen; dazu
sei dann vorweg genommen worden, wer gekommen,
‚allerlei Gesindel‘. Die Leute wurden bewaffnet, und sofort per
Wagen nach Göschenen geschickt, ohne Kommando
von Altdorf aus. Dort stellten sie sich dem Posthalter Arnold
zur Verfügung; er selbst habe die ‚Freiwilligen‘ etwas
verdächtig angesehen und sei auch nach der Tat und seither
nichts weniger als siegesmutig und stolz auf seine
Erfolge geworden. In Wahrheit habe sich nämlich die Sache
– entgegen den Darstellungen der offiziösen
Gotthard-Berichterstatter – dann so entwickelt, dass nach einer Aufforderung zum Rückzug Arnold allein aus seinem
Revolver Drohschüsse in die Luft gefeuert, die ‚Freiwilligen‘
dann aber sofort ohne Kommando nicht in die Luft
– ohne Veranlassung ins Volk hineingefeuert und grossenteils
solche getroffen haben, die ganz unschuldig gewesen,
darunter einen Aufseher, der gerade aus einem Stollen herausgekommen und sogar auf die Arbeiter beschwichtigend
einzuwirken gesucht habe. Diese ‚Freiwilligen‘ mochten
hauptsächlich alte römische und neapolitanische Söldner gewesen
sein und sich etwa als Fremdenführer, Packträger usw.
zufällig in Altdorf aufgehalten haben.“
„Ist die Schweiz
ein Klassenstaat?“
Unterdessen wurde der Ruf nach einer eidgenössischen
Untersuchung immer lauter. Obwohl der Streik von Göschenen
in die schwierigen Aufbaujahre der schweizerischen
Arbeiterbewegung fiel, wurde die grundsätzliche Bedeutung
dieser Konfrontation zwischen Militär und Arbeitern von
der Linken sogleich erkannt. Am 4. September 1875 wandte sich
das Bundeskomitée des Schweizerischen Arbeiterbundes
mit einer Eingabe an den Bundesrat, in der „eine eidgenössische,
strenge und gründliche Untersuchung“ gefordert wurde.
Unumwundener äusserte sich die Tagwacht schon
am 25. August 1875 in einem Leitartikel, der mit „Eine Mahnung“
überschrieben war.
„Wie können die Urner Behörden diese Untersuchung
gehörig führen? Die urnerische Regierung ist ja selbst Partei
in der Sache, sie hat sich keineswegs als Schiedsrichter,
sondern als Handlanger des Herrn Favre erzeigt und gerade die
Urner Regierung muss zur Verantwortung gezogen werden.
Die Frage liegt einfach so: Dürfen in der Schweiz streikende
Arbeiter, die sich nicht die geringste Gewalt zuschulden
kommen lassen, wenn sie sich nur für Leben und Gesundheit
wehren und Abschaffung einer schamlosen Ausbeutung
verlangen – dürfen in der Schweiz solche Arbeiter ohne weiteres
durch geworbene Freiwillige niedergeschossen werden,
oder ist das Leben des Arbeiters gesichert mindestens ebenso
wie das Eigentum des Bourgeois?
Auf diese Frage muss durch eine eidgenössische
Untersuchung Antwort gegeben werden. Damit wird auch die
Frage entschieden: Ist die Schweiz ein Klassenstaat,
in welchem öffentliche Gewalt nur zum Büttel für die besitzenden
Klassen gegen die Besitzlosen da ist, oder ist sie eine
wahre Republik?“
Untersuchungsbericht
für den Bundesrat
Als der Bundesrat endlich einen eidgenössischen Kommissar,
Ständerat Oberst Hold, mit Ermittlungen über die Unruhen
von Göschenen beauftragte, gab es nichts mehr zu ermitteln. Die
inkriminierten Italiener waren abgeschoben oder geflüchtet.
Dem Bericht Hold blieb es überlassen, die Urner Regierung zu
decken und Kronzeugen zu bemühen, die auf die
Anklagebank gehörten.
„Die anfänglich wohl nur von einer kleinen Zahl in Scene
gesetzte Arbeitseinstellung hat in der Nacht vom 27./28.
bedeutende Dimensionen angenommen. Die während der
ganzen Nacht fortgesetzten Umzüge von Arbeitern,
unter wildem Geschrei und improvisierter Musik, die reichlich
genossenen Getränke rissen viele sonst besonnene
Leute mit. Die Hülflosigkeit der Polizei während dieser Nacht,
das Gelingen vollständigen Absperrens aller Zugänge
zum Tunnel, das alles verfehlte nicht, bei einer ohnehin leicht
erregbaren Menge einen bedeutenden Eindruck zu
machen. Die am Morgen des 28. vom Gemeinderat erlassene
Proklamation, worin das Eintreffen bewaffneter
Mannschaft in Aussicht gestellt wurde, blieb ohne allen Erfolg,
desgleichen die Anrede des Gemeindepräsidenten.
Als dann Wachtmeister Trösch mit seinen mitgebrachten
Freiwilligen und der Wasener ‚Bürgerwehr‘ eintraf,
konnte er allerdings bis zur Dependance des Hotels Göschenen
mit Mühe vorrücken, wurde aber von der dicht auf der
Strasse gedrängten Menge förmlich wehrlos gemacht und
gröblichen Insulten ausgesetzt; von Freimachung der
Tunnelzugänge war keine Rede mehr; die fragliche Mannschaft
war bereits völlig ohnmächtig und konnte sich nur durch
einen Rückzug gegen das Sektionsgebäude vor gänzlichem
Erdrücktwerden retten. Auch dieser Rückzug geschah
nicht auf Kommando des Wachtmeisters, sondern auf Zuruf eines
im Postgebäude befindlichen Zuschauers. Sobald er
angetreten war, steigerte sich der Tumult aufs äusserste und
ging in einen eigentlichen Angriff mittels massenhafter
Steinwürfe über, die verschiedene der Mannschaft verletzten,
meist aber dieselben, nachdem sie unter der hohen Mauer
resp. Steinwand beim Hotel Göschenen Deckung gefunden, überschossen. Bis zu diesem Moment hatte sich die
betreffende Mannschaft ganz passiv verhalten. Inzwischen
rückte die mittlerweile vom Gemeindepräsidenten gesammelte
Göschener Mannschaft, 10 Mann, von der Brücke her die
Strasse herauf, sich mit gefälltem Bajonett den Weg bahnend,
ohne jedoch jemanden zu verletzen. Auch sie wurde mit
einem Steinhagel und selbst Revolverschüssen empfangen,
worauf aus deren Mitte ein Schuss fiel. Dies war der
Beginn des allgemeinen Feuerns. Es ist aber konstatierte
Tatsache, und die Kugelspuren in der Höhe der nächsten Häuser beweisen dieselbe faktisch, dass anfangs nur in die Höhe
geschossen wurde – wenigstens 15–20 Schüsse – die niemanden trafen, während der Steinhagel sich verdoppelte und die
Gefahr für die Polizeimannschaft aufs höchste stieg. Es scheint,
dass in diesem kritischen Moment einige unter letzterer
befindliche Soldaten sich entschlossen, ernsten Gebrauch von
der Waffe zu machen. Tatsache ist, dass dann in kürzester
Zeit die beiden Hauptanführer der Tumultanten getroffen fielen
und ein Dritter schwer verwundet wurde, worauf sofort
die ganze Masse derselben in wilder Flucht hinter dem Hügel verschwand. “
Über die Wohnverhältnisse
der Tunnelarbeiter
Über die Wohnverhältnisse der Tunnelarbeiter in
Göschenen liess der Bundesrat ein Jahr nach dem Streik ein
Gutachten erstellen. Am 30. März 1876 sandte der St. Galler
Arzt Dr. Sonderegger seinen Bericht nach Bern. Darin
schrieb er unter anderem:
„Von den etwa 1500–1600 Tunnelarbeitern der Station
Göschenen wohnen im Dorfe wenigstens 1200–1300. Sie sehen
grösstenteils munter und gut aus, manche jüngere, noch
fast Knaben, auffallend blass. Alle sind in Gesicht und Händen
mit Tunnelschmutz beschmiert, einer zarten Masse aus
Brennöl, Eisenstaub, Granitstaub und gewöhnlichem Schlamm,
und der unausweichliche Geruch der so durchtränkten
Kleider ist charakteristisch. Er steigert sich, sowie wir ein Haus
betreten, ganz bedeutend, und verschlimmert sich durch
gemeinen Kloakengeruch. Die Gänge sind schmutig, wie nasse
Feldwege, vor den Türen liegt Kehricht, an manchen
Fensterbrüstungen kleben Exkremente, ebenso auf den Böden,
welche häufig auch als Abtritt dienen. Diese sind selber
über alle Beschreibung schmutzig, und in den meisten Häusern
auch mit gutem Schuhwerk nicht zu betreten. In einem
mit 240 Personen bewohnten Hause wurde im Gang des 3ten
Stockes eben ein grosser Misthaufen mit der Schaufel
teilweise abgetragen. Ein anderes Haus mit über 200 Arbeitern
hat überhaupt keinen Abtritt. In andern Häusern von 50–100
Bewohnern sind Lokale vorhanden, aber vernagelt. In andern sind
sie offen. Dessen ungeachtet steht es auf den Gängen
nicht besser, nur liegen die Exkremente auch rund um die Häuser
und unter vielen Fenstern. Von diesen Gängen führt Türe
an Türe in kleine Zimmer, jedes eine eigene Wohnung, mit 2–4
Betten, und einem eisernen Kochofen, Koffern und Kisten,
Kübeln voll Speisen oder Kehricht, mit Gestellen voll von Töpfen
und Flaschen und Schuren voll Wäsche. Der Boden ist
nicht bloss schwarz, vom unausweichlichen Eisen und Öl der
Arbeiterstiefel, sondern auch von zahllosem Schmutz,
die Wände mit Kleidern und schimmelnden Würsten behangen.
Die Fenster blind, verschmiert und sorgfältigst verschlossen.
Fast überall sind Vorfenster angebracht, aber viele schwer, viele
gar nicht zu öffnen, und die allermeisten niemals geöffnet.
Die sogenannten Betten bestehen aus einem Bretterverschlag, selten wirklicher Bettstelle, aus einem Sacke voll schlechtem
Maisstroh, einem Leintuch oder auch keinem, 1–2 Wolldecken,
häufig auch einem Kopfkissen, alles schmierig & schwarz.
Da liegen wohl eingewickelt die Arbeiter zu zwei, oft zu drei in einem Bette, in ihren Kleidern, oft mit den Stiefeln, wie sie aus
dem Tunnel kommen, und schlafen oder essen, bis ihre Arbeitszeit
wieder beginnt. Acht Stunden täglich währt ihre Arbeit, 16
Stunden haben sie frei. So geht es Tag und Nacht, Sonntag und Werktag. Im Tunnel wie im Schlafzimmer löst einer
den andern ab.
In einigen Zimmern wohnen einige Junggesellen
zusammen, das sind die schmutzigsten Räume. In manchen
Zimmern wohnen ganze Familien, der Arbeiter mit seiner
Frau und zahlreichen Kindern, ja in grossen Zimmern trifft man
Familien und Einzelne nebeneinander, durch aufgehängte
Tücher und Kleider kaum merklich geschieden.
Wenn man diese Zimmer öffnet, stürzt zuweilen ein dichter
Rauch und Qualm und Dampf vom Kochofen, regelmässig
aber eine Flut von Gerüchen dem Besucher entgegen, der förmlich verblüfft wird, dass es da noch ärger stinkt als auf dem Gange.
Die Frauen, welche seltener und für kurze Zeit,
und die Kinder, welche im Winter so gut wie gar nie aus diesen Schmutzlöchern herauskommen, sehen denn auch fahl
und blass aus. Man trifft hier unter den Kindern sehr selten ein
frisches Gesichtchen. Der Sinn für Reinlichkeit ist offenbar
sehr wenig entwickelt sowohl bei den Hauseigentümern als bei
den Arbeitern. Es ist aber auch kein Wasser da. Gewöhnlich
steht auf jedem Gang ein grosser Wasserkübel, welcher für viele
Dutzende von Menschen oder Familien dient und dessen
Waschwasser nicht klarer aussieht als Spüljauche.
Fast alle Häuser des Dorfes sind auf einen einzigen,
einröhrigen Brunnen angewiesen. Eine wesentliche Ursache
dieser schlimmen Zustände ist die rücksichtslose
Zusammenpferchung.
Es trifft, wenn man Bettstellen und Laubsäcke und alles
andere Mobiliar als leeren Raum berechnet, auf den
einzelnen Menschen 2,5–3, allerhöchstens 4 Kubikmeter Luft
in diesen Behausungen.“
Quellen: Verkehrsmuseum und Gotthardbahn-Archiv
Luzern, Staatsarchiv des Kantons Uri, Altdorf, Zentralbibliothek
und Sozialarchiv Zürich, Deutsches Museum München.
Die Rechtschreibung der Originaltexte wurde heutigem
Gebrauch angepasst.
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