Arbeiter mit Schotterzug am Tunnelportal in Göschenen
Streik am Gotthard Inhalt weiter zurück
GOTTHARD–TUNNELBAU
Fritz Hirzel, Die Schlacht am Gotthard,
Magazin, TagesAnzeiger, Zürich, 14. Juli 1973
1872
Am 5. April wurde der Bau des Gotthardtunnels
ausgeschrieben, bei Fristende am 18. Mai lagen der Direktion der
Gotthardbahn sieben Offerten vor. Es bewarben sich 1. Herr L.
Favre, Bauunternehmer in Genf, 2. Società Italiana di Lavori Pubblici
in Turin, 3. Herr Direktor Grandjean in La Chaux-de-Fonds, 4.
Machine Tunneling Company in London, 5. Patent Tunneling and
Mining Machine Company in London, 6. Maschinenbau-Actiengesellschaft Humboldt in Kalk bei Deutz, 7. Herr A. D.
Munsen, Agent der American Drill Company in Paris. Am 7. August
unterzeichneten Louis Favre, Bauunternehmer, und Alfred
Escher, Präsident der Gotthardbahn, in Luzern den Vertrag über
die Ausführung des grossen Gotthardtunnels, der am 23.
August vom Schweizerischen Bundesrat genehmigt wurde.
Am 12. September begann Favre den Bau des 14 900 m
langen zweispurigen Tunnels. Der Vertrag, der ihm für
den Laufmeter Tunnel 2800 Franken garantierte, enthielt eine
Zeitbombe. Artikel 7 setzte Favre eine Frist von acht Jahren:
„Der Gotthardtunnel muss innerhalb acht Jahren,
vom Tage der Genehmigung dieses Vertrages durch den
Schweizerischen Bundesrat an gerechnet, in allen Teilen vollendet
sein. Die Gotthardbahn zahlt Herrn Louis Favre eine Prämie
von 5000 Franken für jeden Tag früherer Vollendung, wogegen
Herr Louis Favre ein Abzug von 5000 Franken für jeden
Tag späterer Vollendung innerhalb der ersten sechs Monate und
von 10 000 Franken für jeden Tag späterer Vollendung
während der folgenden sechs Monate gemacht wird. Hat die
Verspätung ein volles Jahr erreicht, so wird Herr Louis
Favre ausser Akkord gesetzt, und seine Kaution verfällt der
Gotthardbahngesellschaft zu Eigentum.“
Die Kaution, die Favre bei Vertragsunterzeichnung zu
leisten hatte, betrug acht Millionen Franken.
Favre hatte die Absicht, den Tunnel nach belgischer Methode
auszuführen. Das Gestein, ein harter granitischer Gneis mit
aufrecht stehenden Schichten, erforderte keinen Einbau. Es wurde
Tag und Nacht gearbeitet, an Sonn- und Feiertagen, in
12stündigen Schichten zuerst, dann mit täglich dreimaliger
Ablösung der Mannschaft. In den ersten Tagen kam gut
voran. Tag- und Nachtschicht stiessen im Firststollen täglich 2,5 m
vor. Nach 23 m erschwerte ausfliessendes Wasser auf der
Südseite die Arbeit so sehr, dass der Stollen in einer Woche nur
1 m tiefer wurde. Am 5. Oktober war man mit dem Pickel
zu Ende. Man begann mit Pulver und Dynamit zu sprengen. Vor
Ort arbeiteten sechs Mineure, zwei Mann beseitigten das
Aushubmaterial. Der Abtransport erfolgte über eine Rollbahn.
Am 24. November wurde bei 85,7 m eine Trümmerschicht
angestossen, aus der mit 15 bis 30 Liter Wasser pro Sekunde ein Wildbach herausbrach, der Schutt aus Glimmerschiefer
und Quarzblöcken mitführte. Zwei Wochen lang waren die
Arbeiter damit beschäftigt, den Stollen freizuhalten und
das Wasser abzuleiten.
Am 11. Oktober wurde in Göschenen der Arbeiter
Giuseppe Bernardi von Muraglio aus der Provin Turin durch einen
vom Berg herabrollenden Stein getötet.
Bis Jahresende war der Richtstollen bei Airolo 101,7 m,
bei Göschenen 18,9 m vorangetrieben.
1873
Die Zahl der Arbeiter wuchs beständig. Im Jahresdurchschnitt
waren in Göschenen 388, in Airolo 644 Mann pro Tag
an der Arbeit. Am 31. März kam es zum ersten Versuch mit einer
Bohrmaschine. Die Leistungen verdoppelten sich. Im
Dezember betrug der Tagesdurchschnitt 2,56 gegenüber 1,07 m
im April. Ende März stiess man im Tunnel Süd auf eine
Quelle. Der Wasserzufluss nahm erneut zu. Am verheerendsten
waren die Wassereinbrüche im September, als pro Sekunde
195 Liter aus dem Tunnel abflossen. Im Stollen standen die Arbeiter fusstief im Wasser. Oft waren sie stundenlang kalten
Wasserstürzen ausgesetzt.
150 m vor dem Portal Nord entstanden die
Reparaturwerkstätten, eine Schmiede, verschiedene Magazine
und das Turbinenhaus, in dessen Dachgeschoss die
Unternehmung ihre Büros einrichtete. Daneben befanden sich
einige Arbeiterwohnungen und kleinere Hütten als
Pulver- und Dynamitmagazine. 9 m vom Tunnel entfernt stand
das provisorische Maschinengebäude, von dem aus eine
Dampfmaschine die Bohrmaschinen antrieb.
Am Weihnachtstag kam es in Airolo zu einem
Krawall zwischen Tunnelarbeitern und der Bevölkerung, bei dem
es mehrere Verwundete gab.
Am 5. November wurde im Richtstollen Nord ein
Arbeiter bei einer Minenzündung durch einen Stein am Hinterkopf
getroffen und auf der Stelle getötet. Bei der Explosion der
Dynamitwärmehütte in Göschenen kamen am 20. November
drei Arbeiter ums Leben: Luigi Bana, der in der Hütte
Dynamit aufgewärmt hatte, sowie Battista Nicaise und Felice
Beata, die gerade auf dem Weg zur Nachtschicht
gewesen waren.
Der Richtstollen wurde bis Jahresende im Norden auf 600,
im Süden auf 596 m vorangetrieben.
1874
Die Zahl der Gotthardarbeiter vergrösserte sich mit jedem
Monat. Im Durchschnitt waren 1874 in Göschenen täglich 857,
in Airolo 885 beschäftigt. Auf der Nordseite bohrte man
durchschnittlich 2,84 m im Tag, im August wegen weichen Gesteins sogar 3,87 m. Gearbeitet wurde mit Bohrmaschinen von
Ferroux und Dubois & François, von denen einige Dutzend zur
Verfügung standen. Eine Ferroux-Maschine wog rund
250 kg. Auf einem Gestell setzte man sechs Bohrer ein. Die
Dienstbahn war auf 3200 m angewachsen. Die Wagen
mit Schutt und Aushubmaterial zog eine kleine Lokomotive.
Der Maschinenposten, zu dem ein Vorarbeiter, vier
Mineure, zwei Mechaniker, acht Handlanger und ein Laufbursche
gehörten, bohrte in vier Stunden ungefähr zwanzig
einmetertiefe Löcher. Dann wurde das Bohrgestell auf ein
Ausweichgeleise zurückgezogen, das etwa 200 m
von der Stollenbrust entfernt lag. Die nächsten drei bis vier
Stunden traten die 22 Mann vom Schutterposten
in Aktion. Sie füllten in die oberen und mittleren Bohrlöcher
Dynamit und brachten es über Zündschnüre zur
Explosion. Darauf wurden Rollwagen vor Ort geschoben, mit
Schutt vollgeladen und abgeführt. Zuletzt sprengte der
Schutterposten die Löcher an der Stollensohle, verlängerte mit
Schwellen und Schienen das Rollbahngeleise und half
dem neu angekommenen Maschinenposten, das Bohrgestell
mit allem Zubehör wieder vor Ort zu bringen.
Im November konnte dreieinhalb Tage nicht
gearbeitet werden, weil die Reuss so viel Schnee mitführte, dass
die Wasserleitung zu den Turbinen verstopft wurde.
Auf dem Installationsplatz an der Nordmündung errichtete
die Unternehmung ein Arbeiterwohnhaus, Pferdeställe,
Kohlenschuppen, Magazine und zwei Dynamitwärmehütten.
Mit dem Bau eines Krankenhauses und eines Wasch-
und Umkleidegebäudes wurde begonnen.
Im Tunnel Nord kamen drei Arbeiter um, als eine
Dynamitpatrone, die im Bohrloch geblieben war, bei der Bohrung
eines neuen Lochs explodierte. In einer seitlichen
Erweiterung wurden drei andere Arbeiter überfahren und
erlagen den Verletzungen. Im Tunnel Süd starben
vier Arbeiter an den Folgen einer Vergiftung durch Sprenggase.
Bis zum Ende des Jahres drangen die Arbeiter
im Norden 1637 m, im Süden 1343 m tief in den Berg vor.
Mit dem Stollenausbruch kamen sie gut voran. Aber
beim Ausbruch des Tunnels auf das volle Profil geriet das
Unternehmen immer mehr in Rückstand. Mit
der Tunnelausmauerung lag es hoffnungslos zurück.
1875
Massenandrang am Gotthard. In Altdorf zählte die
Urner Regierung im Frühjahr während vier Tagen fünftausend neuangekommene Italiener. An einem Junitag arbeiteten
in Göschenen 1921, in Airolo 2167 Arbeiter. Durchschnittlich
gingen 1875 auf beiden Seiten jeden Tag zwei- bis
dreitausend Arbeiter in den Stollen.
Am 27. Juli stand die Arbeit auf einmal still.
Die weit über tausend Arbeiter in Göschenen waren in den
Streik getreten. Sie forderten bessere Belüftung im Tunnel, 50
Centimes mehr Tageslohn und 14tägliche Bezahlung
in Bargeld. Am 28. Juli ging ein Infanteriekorps aus Altdorf
gegen die Streikenden vor und erschoss zwei
Italiener, als die Arbeiter den Tunneleingang bereits
freigegeben hatten.
Ein Arbeiter, der an Ort und Stelle arbeitete, gab im Bulletin
der Jura-Föderation folgende Darstellung:
„Das Sprengen der Minen verursacht einen so dicken
Rauch, dass es in der Nähe des Ortes, wo gesprent
wurde, während einer halben Stunde oder drei Viertelstunden
für niemanden auszuhalten ist. Diesen Zeitverlust hat
natürlich der Unternehmer zu tragen, und er hat daher ein
grosses Interesse daran, dass der dicke Rauch sich
möglichst schnell verteile resp. verschwinde. Nun werden
bekanntlich die Bohrmaschinen mit komprimierter
Luft getrieben, und die Leitung dieser komprimierten Luft geht
bis an das Ende des Tunnels, wo die Bohrmaschine
arbeitet. An dieser Luftdruckleitung sind Ventile angebracht,
um Luft herauszulassen und so schnell als möglich
den Rauch zu vertreiben, damit die Arbeiter zum Atmen
taugliche Luft erhalten und sofort mit der Wegräumung des
Sprengschutts und ihrer Minenarbeit wieder
beginnen können.
Nun kommt es aber vor, dass – aus was für Ursachen
immer – nicht der nötige Luftdruck vorhanden ist,
ja oft kaum genügt, um die Bohrmaschinen in Gang zu erhalten.
Dann ist der schlimme Zeitpunkt da, wo der Unternehmer
den Arbeitern diese Luft aus der Leitung verweigert,
was natürlich gerade so viel heisst, als ihnen das Leben zu
verweigern. Denn dem Unternehmer liegt ohne
Zweifel weniger daran, ob ein paar Arbeiter aus Mangel
an Luft kaputt gehen, als dass er einen Meter
verliere, d. h. weniger in den Berg hineinbohren könnte.“
Und dieser Rauch – mehr oder weniger ungesund, je nach
der Menge und Qualität des Materials, aus welchem der
Dynamit zusammengesetzt ist – ist manchmal ein so starkes
Gift, dass es den sofortigen Tod zur Folge hat. Fünf
oder sechs Male ist es schon vorgekommen, dass Arbeiter, die
vollkommen gesund in den Tunnel hineingingen, eine
Stunde nachher mit aufgetriebener Brust wieder heraus mussten
und eine oder zwei Stunden darauf starben.
Dennoch gibt es Arbeiter, die eine solch ungesunde
Arbeit aushalten können und dabei sich noch leidlich wohl zu
befinden scheinen. Doch das scheint nur so, in Tat und
Wahrheit müssen sie früher oder später die Arbeit aussetzen,
angeblich wegen leichten Unwohlseins – von dem sie
sich aber nie mehr erholen.
Die Streikenden, welche eine zum Atmen taugliche Luft
verlangten, sahen sich in der Lage, wo sie nur die
Wahl hatten, entweder durch vergiftenden Rauch, oder durch
Hunger, oder – durch Kugeln zu sterben.
Ich füge noch bei, dass ein Italiener namens Mazzio,
Magaziner über das Material, sofort entlassen wurde, weil er dem
Unternehmer Favre und zwar in Gegenwart der höheren
Angestellten und Offiziere ins Gesicht sagte, dass er gegen die
Massakrierung seiner Landsleute protestiere.“
Bei Arbeiten am grossen Tunnel verunglückten 1875
auf der Nordseite 40, auf der Südseite 23 Arbeiter. 16 wurden
getötet, 47 mehr oder minder schwer verletzt.
Man war jetzt bei Göschenen 2810,8 m, bei Airolo 2599 m
tief im Berg drin. Die internationale Kontrollkommission
äusserte erneut Bedenken, ob eine rechtzeitige Fertigstellung
noch möglich sein werde.
1876
Durchschnittlich arbeiteten in Göschenen im Januar 1685,
im Juni 1610 und im Dezember 1092 Arbeiter pro Tag. Der stete
Arbeiterwechsel erreichte Ende Jahr einen neuen Höhepunkt,
was die Bohrleistung um die Hälfte verminderte.
Beim Vorantreiben des Richtstollens wurde von 2755 m an
eine sehr druckreiche Gebirgsstrecke aufgeschlossen,
ein Zersetzungsprodukt des Urserngneises, das sich bis 2835 m
fortsetzte und erst allmählich in etwas härteren Zustand
überging. Die Maschinenbohrung musste eingestellt werden.
Erst von 2856 m an war sie wieder möglich.
Auf die Sicherheit der Arbeiter nahm der Baubetrieb kaum
noch Rücksicht. Es gab 24 Tote und 79 Verwundete.
Der Richtstollen war im November 3826,5 m, im Süden
3619,5 m tief geworden.
1877
An einem Tag im August arbeiteten in Göschenen 1985, in Airolo
2359 Mann am Tunnelbau. Ein vom Bundesrat entsandter
Beobachter berichtete, die Arbeiter sähen auffallend blass aus.
Ein Korrespondent des Handelskurier hatte geschrieben:
„Man sehe die Arbeiter an, wenn sie von ihrer Schicht
kommen, kaum mehr menschenähnlich sehen diese Leute aus
und wo sie sich niederlassen, erfüllt ein pestilenzialischer
Gestank, den sie – von den Dynamitsprengungen herrührend –
in ihren Kleidern herumschleppen, die Umgebung.“
Das Gestein war trocken und relativ leicht zu bohren.
Es bestand aus Glimmergneis vom Ursern- und Gurschentypus.
Im November wurde Serpentin angebohrt. Dieses
Gestein war sehr hart zu bohren, brach schwer und verbrauchte
pro Laufmeter durchschnittlich 35 kg Dynamit, doppelt
soviel wie der Gneis.
Die Stollenmanschaft bohrte und schutterte je zwei Posten
nacheinander ohne auszufahren. Den Beginn der
Bohrung oder Schutterung warteten die Arbeiter in der Galerie
ab. Im Südstollen weigerten sie sich bald, 15 Stunden
nacheinander im Tunnel zu bleiben. Die Arbeiter zogen es vor,
innerhalb von 24 Stunden zweimal 4100 m weit in den
Tunnel hineinzumarschieren.
Am 22. Februar explodierten am Gebirgshang
zum Steinlagerplatz in Göschenen beide Dynamitwärmehütten.
Dabei wurden drei Arbeiter getötet. Im Dorf und an den
Installationen entstand geringer Sachschaden. Auf Einsprache
der Gemeindebehörden mussten die Dynamitanlagen
weiter entfernt gebaut werden. Die Unternehmung liess sie
darauf an der Strasse nach Andermatt errichten. Am 10.
Dezember nahm man die neuen Anlagen in Betrieb. Am 20.
Dezember explodierte die Wärmehütte erneut. Dabei
wurden vier Arbeiter getötet. Die Hütte baute man am selben
Ort wieder auf. Die Schutzwälle wurden um 1 m erhöht.
Am 17. September brannte das Dorf Airolo ab.
150 Häuser, 25 Ställe und Scheunen wurden zerstört, 2000
Menschen, zur Hälfte Tunnelarbeiter, obdachlos. An den
Installationen der Unternehmung entstand kein Schaden. Sie
wurden zehn Tage später durch eine Explosion der vier Hochdruckluftreservoirs erheblich beschädigt.
Es ereigneten sich mehr Arbeitsunfälle denn je. 31 Arbeiter verunglückten tödlich, 60 erlitten schwere Verletzungen.
Als Todesursachen wurden genannt: Sturz 1, Explosion der
Dynamithütten 7, nachträgliche Entzündung einer Mine 5, herabrollende Steinblöcke 5, Niederbrüche 2, Einsturz eines
Gerüstes 1, bei der Förderung überfahren 5, entgleist
und eingeklemmt 4, beim Passieren des Zuges an Rüstungen angeschlagen 1. Trotzdem sah der Bundesrat keinen
Grund, die Unternehmung wegen Fahrlässigkeit zu behaften.
Der Richtstollen hatte im Norden 5047 m, im Süden
4613,6 m Länge erreicht.
1878
Es fuhren auf der Nordseite in den Berg: im Durchschnitt
pro Tag im Januar 1386, im Juni 1455 und im Dezember 1133
Arbeiter. Die meisten Löhne bezahlte die Unternehmung
an einem Tag im Juni, als in Göschenen 1746 Arbeiter einfuhren.
Ein- und Ausfahrt geschah zum Teil auf Wagen.
Im Tunnel wurde die tropisch feuchte Hitze immer erdrückender.
Es grassierte eine Anämie der Mineure, eine schleichende
Blutarmut, welche die Grubenarbeiter zu Dutzenden hinraffte.
Im Norden wurde der Richtstollen um 1309 m
verlängert – bis 5309 m durch Serpentin, bis 5875 m durch
Glimmergneis, bis 6356 m durch Glimmergmeis mit
Quarzeinlagerung. In Stollen und Erweiterung konnte die
Unternehmung das Arbeitsprogramm einhalten. Der
Rückstand im Gewölbe verkürzte sich erneut. Dafür vergrösserte
er sich in den unteren Etagen aus finanziellen Gründen.
Die Einhaltung des vertraglichen Vollendungstermins wurde
immer fraglicher.
Bei den Arbeiten am Tunnel gab es erneut 31 Tote.
78 Arbeiter wurden schwer verletzt.
Ende Jahr waren die Bohrungen bei Göschenen
6356 m, bei Airolo 5843 m tief vorangekommen. Bis zum
Durchbruch fehlten noch 2701 m.
1879
Auf der Nordseite zählte man im Januar 1269, im Dezember
1377 Arbeiter als Tagesmittel. Auf der Südseite waren
es im Durchschnitt 1377 im Januar und 1379 im Dezember. Das
Tagesmaximum verzeichnete die Unternehmung in
Göschenen mit 1739 Arbeitern im März. In Airolo waren 1663
im Oktober die Tagesspitze.
Bei 6865 m trat der Richtstollen im Norden unter den
St.-Anna-Gletscher, bei 7095 m unter den Firn. Fünfzig Meter
weiter traten aus zerbröckelten Spalten Wasserzuflüsse
hervor, die stark nach Schwefelwasserstoff rochen und auf
Steinen, metallenen Röhren und einer Pferdetränke
aus Holz Schwefelhäute absetzten. Bei 7291 m passierte der
Stollen den Älpetligrat, den zweithöchsten Profilpunkt.
Favre war es nicht gelungen, die in einem Nachtragsvertrag
aufgestellten Arbeitsprogramme zu erfüllen. Die
Rückstände vermehrten sich in allen Arbeitsteilen bedeutend.
Nur im Firststollen blieben sie unerheblich. Gleichzeitig
erreichte die Kette von Klagen, mit denen Favre gegen die
Gotthardbahn vor Bundesgericht zog, ihren Höhepunkt.
Am 3. April liess er die Arbeiten in der südlichen Erweiterung
einstellen. 100 Arbeiter wurden entlassen. Durch
Maueranschlag gab die Unternehmung bekannt, Schwierigkeiten
mit der Gotthardbahn hätten sie zu den Arbeitseinstellungen
gezwungen. In einer Zuschrift an den Bundesrat erklärte Favre,
die Gotthardbahn führe trotz seinem Protest ein neues
System der Tunnelausmauerung ein, das unrationell sei, die
Sicherheit der Arbeiter und den Betrieb gefährde. Sie
weigere sich, die Dimensionen für die Tunnelausmauerung
bekanntzugeben, bevor die Richtstollen vollständig
erweitert seien. Überdies habe sie beschlossen, ihm von seinem
Verdienst für Installationsvorschüsse einen Rückbehalt
von monatlich 300 000 Franken abzuziehen. Am 5. Mai wurde
ein neuer Vertrag unterzeichnet. Favre erklärte sich
bereit, auf eine Einsprache gegen die Verpfändung der
Gotthardbahn zu verzichten und seine Klagen
beim Bundesgericht zurückzuziehen.
Bei einer Führung im Tunnel Nord erlitt Favre am 19. Juli
einen tödlichen Schlaganfall. Die Arbeiten im Berg
gingen ohne Unterbruch weiter. An Favres Stelle trat der von
seiner Erbin eingesetzte Ingenieur Bossi.
Bei Arbeitsunfällen gab es in diesem Jahr 18 Tote und 52
Schwerverletzte.
Der Richtstollen war Ende Jahr im Norden auf 7533 m,
im Süden auf 7002 m vorgerückt. Am 24. Dezember
vernahmen die Arbeiter im Göschener Stollen erstmals die
Explosionen von der Südseite. Noch lagen 400 m
zwischen beiden Mannschaften.
1880
Auf der Nordseite arbeiteten durchschnittlich im Januar
1452, im Dezember 1349 Arbeiter pro Tag. Die Tagesspitze waren 2161 Tunnelarbeiter in den Sommermonaten Juni/Juli.
Die Unternehmung verwandte alle Kräfte auf den Ausbruch
des Richtstollens. Am 1. Februar waren noch 208,2 m
zu durchbohren. Bei einem mutmasslichen Fortschritt von 6,5 m
pro Tag musste die Sonde das letzte Felsstück Anfang
März durchbrochen haben. Der Durchbruch fand jedoch bereits
am 29. Februar, mittags um 11.15 Uhr, statt. Schon am 2.
führte ein zusammenhängender Schienenstrang von Göschenen
hinüber nach Airolo.
Aus Turin berichteten die Professoren Concato und
Perroncito, sie hätten in ihren Spitälern bei abgezehrten und
blutleeren ehemaligen Gotthardtunnelarbeiterm einen
kleinen Eingeweidewurm (Anchylostomum duodenale) gefunden,
der die massenhafte schwere Blutschwäche
verursacht habe.
Obwohl der Tunnel am 1. Oktober hätte fertig sein sollen,
blieben auch beim Jahreswechsel noch bedeutende Rückstände
übrig. Die Kosten des Tunnels beliefen sich Ende Jahr
auf 55 551 600 Franken. Bis zu seiner völligen Fertigstellung
verunfallten weitere 30 Arbeiter.
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