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AM TAG, ALS ROSS MACDONALD STARB



               Fritz Hirzel, Am Tag, als Ross MacDonald starb,

               TagesAnzeiger, Zürich, 20. Juli 1983


Der Alte gab sich, während er im Umkleidetrakt die

Sommerhose hochzog, kampfeslustig. Bevor er das Drehkreuz

passierte, wandte er sich an den Bademeister, der am

Ausgang stand.

      Warum sie ihm den Brunnen, an dem er noch Wasser zu

schlurpfen pflegte, verrammelt und abgedreht hätten?

      Sparmassnahmen der Stadt, entgegnete der

Bademeister, einer der jungen; er solle sich äussern, wenn er nicht

einverstanden sei. Dazu machte er eine Geste, die den Alten

eher ermunterte als abwies.

      Am Tag, als Ross MacDonald starb, sprudelte

der Brunnen wieder. TagesAnzeiger und Neue Zürcher Zeitung,

die ich im Schwimmbad Tiefenbrunnen durchblätterte,

brachten den Tod des Kriminalautors in 30-Zeilen-Meldungen.

      Nicht, dass Lew Archer, der Privatdetektiv mit

seinem Bürozimmer am Sunset Boulevard, auf dessen Spuren

Ross MacDonald die Tatorte familiärer Verstrickung

entdeckte, in Zürich keine Fans gehabt hätte.

      Mag sein, dass ich das überschätze: tatsächlich

waren seine Schauplätze fern, eingetaucht ins Licht

jener besonderen kalifornischen Fassadenwelt, klimatisch

erhitzt, mit steter Erdbebengefahr auch in

zwischenmenschlicher Beziehung.

      Im Wasser draussen zog ein Ausflugsschiff vorbei,

aber das blieb im Naherholungsraum, der Zürich mit Rapperswil

verband. Es war ein Kriminalfall, ein authentischer,

nicht der eines Romanautors, was mich bei der Lektüre

inmitten der Sonnenbadenden beschäftigte.

      Aus dem Grand Hyatt Hotel in Manhattan verschwand

am 8. Januar George M. Perry, ein Millionär, 64

Jahre alt, nachdem er einen Flug nach Zürich hatte

kurzfristig annullieren lassen.

      Am 8. April, drei Monate später, wurde

er in einem See im Harriman State Park in Orange County

gefunden, 45 Meilen nordwestlich von New York City:

in Anzug, Mantel, Schuhen und Socken, Gewichte an den Beinen,

dreimal in den Kopf geschossen, Kaliber 22.

      Kein Fall für Ross MacDonald, ich weiss. In Zürich

hätte Perry einem Bericht der New York Times zufolge

Joseph Vanacek treffen sollen, den Präsidenten der Still Inc.

in Sao Paulo, für die Perry als Berater in internationalen

Handelsbeziehungen tätig war.

      Im Dezember bereits hatte Perry in Zürich

für Vanacek ein Essen arrangiert, bei dem dieser mit dem

Ex-Diplomaten Sadigh Tabatabei übereinkam, für

den Wert von einer Milliarde Dollar Waffen aus der nicht

zu unterschätzenden brasiliianischen Rüstungsindustrie

nach dem Iran zu liefern.

      Am 8. Januar, noch bevor sie das Geschäft

abgewickelt hatten, wurde Tabatabei in Düsseldorf

am Flughafen verhaftet, nachdem ein Zollbeamter in seinem

Handkoffer vier Pfund Opium fand, den Ausgangsstoff

für Heroin.

      Hatte Perry den Flug nach Zürich annullieren lassen,

weil Tabatabei verhaftet worden war?

      Mit einem Mal ging das Alarmhorn los, einer der

Angestellten in Shorts rannte zum Sprungturm, Sekunden später

ein zweiter, den Erste-Hilfe-Koffer dabei. Ein Mädchen, hiess

es, sei ins Wasser gesprungen, aber nicht mehr

aufgetaucht.

      Verbissen, mit letztem Einsatz stürzten sie sich

tauchend ins Wasser, Schwimmflossen an den Füssen,

auch ein Froschmann war plötzlich da. Zuschauer

drängten sich am Ufer zusammen, Neugierige, zu denen sich

ahnungslos auch das vermisste Kind gesellte.

      Die Mutter, den Tränen nahe, entstieg dem Wasser,

fassungslos, sodass sie beruhigt werden musste

vom Bademeister, der die Rettungsaktion bereits abgeblasen

hatte und im Durcheinander dastand

wie ein athletischer, wirklich gutgesinnter Mann.

      Nicht, dass es ein besonderer Tag gewesen wäre.


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