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VERWANDELTE ERWARTUNG
Hier ist Immanuel Kants Zitat gewordener
Satz: Lachen ist ein Affekt. Es entspringt einer
gespannten Erwartung. Die verwandelt
sich plötzlich „in nichts”.
Fritz Hirzel, Passagiere des Glücks. Wem Lachen auf
die Sprünge hilft. Essay. 140 Seiten. Berlin 2004.
„Es muss”, notiert Immanuel Kant, „in allem, was ein lebhaftes erschütterndes Lachen erregen soll, etwas Widersinniges
sein (woran also der Verstand an sich kein Wohlgefallen finden
kann). Das Lachen ist ein Affekt aus der plötzlichen
Verwandlung einer gespannten Erwartung in nichts.”
Zum Lachen äussert Kant sich in einer Anmerkung der 1790
in Erstauflage veröffentlichten Kritik der ästhetischen
Urteilskraft. Er fährt fort: „Eben diese Verwandlung, die für den
Verstand gewiss nicht erfreulich ist, erfreuet doch indirekt
auf einen Augenblick sehr lebhaft.”
Es folgt der eher mäandrierende Satz: „Also muss die Ursache
in dem Einflusse der Vorstellung auf den Körper und
dessen Wechselwirkung auf das Gemüt bestehen; und zwar
nicht, sofern die Vorstellung objektiv ein Gegenstand
des Vergnügens ist (denn wie kann eine getäuschte Erwartung vergnügen?), sondern lediglich dadurch, dass sie,
als blosses Spiel der Vorstellungen, ein Gleichgewicht
der Lebenskräfte im Körper hervorbringt.”
Zu lachen fangen wir an, wenn „der Schein in nichts
verschwindet”. Wir halten daran aber gerade eben noch fest,
indem wir „unsere verfolgte Idee, wie einen Ball,
noch eine Zeit lang hin- und herschlagen”. Dieses wechselseitige Anspannen und Loslassen bringt unser Gemüt ins
Schwanken, „weil der Absprung von dem, was gleichsam
die Saite anzog, plötzlich geschah”.
Die Gemütsbewegung setzen wir um in eine „Anspannung
und Loslassung der elastischen Teile unserer Eingeweide,
die sich dem Zwerchfell mitteilt”. Das Ergebnis ist für Kant das
Gleichgewicht in unserem Körper, das sich durch das
„heilsame” Lachen einstellt.
Er zieht den Effekt der Atmung in die Betrachtung mit ein,
„wobei die Lunge die Luft mit schnell aufeinander
folgenden Absätzen ausstösst, und so eine der Gesundheit
zuträgliche Bewegung bewirkt”.
Absurde Idee. In Redefloskel gepackt.
Der Philosoph Henri Bergson nennt den Wortwitz „le comique
de mots”. In seinem Buch Le rire, das zum Klassiker
essayistischer Lebensbetrachtung geworden ist, beschreibt
er den Humus für Wortwitz:
„Sich gehen lassen, sei’s aus Festgefahrenheit, sei’s aus
Trägheit, sagen, was man nicht sagen, tun, was man
nicht tun wollte: Hier liegen, wie wir wissen, die ergiebigsten
Quellen des Witzes.“
„Darum ist Zerstreutheit an sich lächerlich. Darum lachen
wir über alles Festgefahrene, Fertige, Mechanische,
sei’s in Gesten, Attitüden oder gar Gesichtsausdrücken.
Diese Festgefahrenheit beobachten wir zweifellos
auch in der Sprache.“
„Auch sie hat ihre fixfertigen Formeln, stereotypen Sätze.
Eine Person, die sich andauernd in solchem Stil
ausdrückte, wäre unweigerlich komisch. Soll ein einzelner
Satz aber selbst komisch sein, unabhängig von dem,
der ihn äussert, genügt es nicht, dass es ein fixfertiger Satz ist.“
„Der Satz muss ausserdem einen Wink enthalten, der
uns gleich zu erkennen gibt, dass er automatisch
geäussert wurde. Und das kann nur passieren, wenn der
Satz eine offensichtliche Absurdität enthält, einen
groben Irrtum, einen Widerspruch in sich selbst.“
„Deshalb die Grundregel: Wortwitz erhalten wir, wenn wir eine
absurde Idee in eine Redefloskel hineinpacken.”
Bei Le rire. Essai sur la signification du comique handelt
es sich um eine Sammelausgabe von drei in der
Revue de Paris erschienenen Aufsätzen, die Henri Bergson
1900 in Paris als Buch veröffentlicht hat.
1911 folgt die Ausgabe auf englisch, 1914 die auf
deutsch (bei Diederichs in Jena): Das Lachen. Ein Essay
über die Bedeutung des Komischen.
Es ist ein Kapitel, das Wortwitz zusammen mit
Situationskomik behandelt. Für Henri Bergson „folgt die
Wortkomik der Situationskomik dichtauf und geht
wie diese in die Charakterkomik über”.
Es ist nicht die Absurdität, über die wir lachen.
„Elle ne crée pas le comique, elle en dériverait plutôt.”
Die Absurdität erzeugt keine Komik, sie geht
aus der Komik vielmehr hervor. Sie ist Trittbrettfahrer,
nicht Pilot des Lachens.
Freude. Und Kitzel.
Lachen und Weinen heisst das Buch, das Helmuth Plessner
1941 veröffentlicht. Sprechen, planmässiges Handeln,
variables Gestalten ist das, was „allen Menschen gemeinsam
ist und sie von anderen Lebewesen unterscheidet”.
Dazu zählt er auch Lachen und Weinen, „zwei Ausdrucks-,
ja Ausbruchsmittel von elementarem entwicklungsfähigem
Charakter”. Ein „allgemeines Lebensgeräusch” sieht er darin
aber nicht. Im Gegenteil, Lachen und Weinen sind
„die beiden Grenzreaktionen”.
1950, als die zweite Auflage des Buches herauskommt,
schreibt Plessner ein Vorwort, in dem er zum Schluss dann noch Stendhal zitiert: „Le problème du rire doit être écrit en style
d’anatomie et non en style d’académie.”
Hat das Plessner selbst befolgt? Hat er Lachen im Stil
eines Anatomen beschrieben, nicht eines Akademie-Mitglieds?
Es sind „Anlässe des Lachens”, die Plessner untersucht,
nicht Organe.
Fünf „Anlässe des Lachens” macht er aus: „Gebärden
der Freude und des Kitzels”, „Spielen”, „Komik”, „Witz”,
„Verlegenheit und Verzweiflung”. Dabei stellt Plessner die
„Gefühlskälte des Lachens” fest.
„Im Lachen quittiert der Mensch die jeweilige Situation,
d. h. er bestätigt sie oder er durchbricht sie.” Genauso wendet
er sich aber gleich drauf den „Anlässen des Weinens” zu.
Er habe, moniert Plessner 1950, die erste Theorie des Lachens
und des Weinens geschrieben und warte auf die zweite.
Die aber bleibt aus.
Die Situation, in der Plessner „Lachen und Weinen” schreibt,
ist selber eine Grenzreaktion. Dazu passt, dass er sich
in den Niederlanden vor deutschen Besatzern versteckt. Das
einzige, was er 1940 herausbringt, ist der 67seitige
Beitrag in Tijdschrift voor Philosophie: Das Problem von
Lachen und Weinen.
Im Jahr drauf legt Francke in Bern das Buch vor:
Lachen und Weinen. Da ist „Das Problem” weg, zumindest
aus dem Titel. Was bleibt, ist die Grenzreaktion.
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