Passagiere des Glücks weiter zurück
VERBOT, ÜBERSCHREITUNG
Das Verbot und seine Überschreitung: Verläuft
hier eine Demarkationslinie, an der das
Lachen entlangführt? Es scheint, dass das
Verbot geradezu nach dem Lachen ruft,
es herauskitzelt, es herbeilockt.
Fritz Hirzel, Passagiere des Glücks. Wem Lachen auf
die Sprünge hilft. Essay. 140 Seiten. Berlin 2004
„Stört es Sie, wenn ich rauche?”, fragt die Frau in Jeans
und Pullover in der noblen ruhigen Bar im The Mark
Hotel, Upper East Side, Manhattan. „Mir macht’s nichts aus”,
sagt Richard Medley, der mit Freunden bei einem
Drink sitzt. „Aber ihm vielleicht.”
Er sagt’s laut genug, damit auch die anderen in der Bar
den Witz mitbekommen, und zeigt auf den Mann, der hinter
der Frau Platz genommen hat. Als die sich umdreht,
erkennt sie Michael R. Bloomberg, New Yorks Bürgermeister,
der in den Bars der Stadt das Rauchverbot
durchgesetzt hat.
Sie beginnt zu lachen und fragt den Bürgermeister,
ob es ihn störe, wenn sie rauche. Der setzt auf den Witz noch
einen drauf, indem er lachend sagt, es seien die Inhaber
der Bar, denen es was ausmache. Die hätten das Bussgeld für
ihren Genuss zu bezahlen.
Richard Medley hat das Sabrina Tavernise rapportiert,
die es am 24. Januar 2004 in der New York Times festhält.
Das Verbot und seine Überschreitung (selbst wenn
der Versuch scheitert): Verläuft hier eine Demarkationslinie,
an der das Lachen entlangführt?
Bestgelaunt, „in very good humor”, geht in der Bar im
The Mark Hotel alles aus, „a very New York thing”. Mit Bürgermeister Bloomberg, der eine Runde für den Tisch spendiert.
Mit der Frau in Jeans und Pullover, die das Thema fallen lässt,
auch wenn’s ihm nicht gelingt, sie zu überzeugen mit
dem Rauchen aufzuhören. Hat nicht das Verbotene einen ganz besonderen Reiz?
Verbot. Überschreitung. Lachen.
Es scheint, dass das Verbot geradezu nach dem Lachen
ruft, es herauskitzelt, es herbeilockt, als sei’s der
Türöffner seiner Überschreitung. Wir brauchen, um das
festzustellen, das Rauchen nicht. Bei Kindern
genügt es bereits, ihnen das Lachen selbst einfach
zu verbieten.
Genau das empfiehlt ein Vorschulprogramm, das 2001
in den USA unter dem Titel Laughs Along the Way läuft.
Dazu hat die New York Public Library ein Skript ins Internet
gestellt. Das beginnt mit den Sätzen:
„Am leichtesten gelingt das Warm up der Kinder für dieses
Programm, wenn man sie mit dem Thema für den Tag
bekannt macht und ihnen dann sagt, sie dürften unter keinen Umständen lachen. Kein einziges Lächeln ist erlaubt!
Spielt das aus, beschuldigt Kinder gelächelt oder gegiggelt
zu haben! Nichts bringt Kinder schneller zum Lachen,
als wenn man ihnen sagt nicht zu lachen.”
Beginnt es hier, das Spiel? Und setzt sich, was bei Kindern
blind zu funktionieren scheint, fort bei Erwachsenen
in der Lachnummer, die Verbot und Überschreitung bieten?
Lachen tangiert die Deutungshoheit. Um die
zurückzugewinnen, wird das Mittel des Lachverbots eingesetzt.
Als im Weimarer Hoftheater am 29. Mai 1802
Friedrich Schlegels Alarcos uraufgeführt wird und das Publikum
zum Teil in Gelächter ausbricht, springt Goethe
in der Loge des Theaterdirektors auf und ruft ins Parkett:
„Man lache nicht!”
Schamlosigkeit und Gelächter
„Das Lachen”, schreibt Georges Bateille 1951, „ist ein
Ausdruck der Kompromisshaltung, die der Mensch gegenüber
dem einnimmt. was ihn abstösst. wenn dieses ihm nicht
mehr ernst erscheint.”
Er schreibt das in einem siebenseitigen Vorwort zu
Madame Edwarda, einer gerade mal doppelt so langen
Erzählung, die er vor einem Jahrzehnt unter
Pseudonym erstmals als Privatdruck in fünfzig Exemplaren veröffentlicht hat.
Lachen grenzt ab. Es folgt der Demarkationslinie des Verbots,
bei dessen Überschreitung es zum Komplizen wird. Mag
sein, dass Lachen ausdrückt, was Georges Bataille „Kompromiss”
nennt. Aber genau dieses Wort verweist auch auf das Lachen,
das blossstellt, auf das „kompromittierende” Lachen.
Hier geht’s nicht um die kleine Schamlosigkeit, die das
Rauchverbot in der Bar im The Mark Hotel unterläuft. Madame Edwarda ist eine Prostituierte in einem Bordell, die
Georges Bataille als Gott bezeichnet, wobei er uns über den
Anteil der Ironie im Ungewissen lässt.
„Wir wollen nicht etwa versuchen, dem von der Schamlosigkeit provozierten Gelächter entgegenzutreten, aber wir möchten
– zum Teil – auf eine Haltung zurückkommen, die das Lachen
erst ermöglicht hat”, stellt er in seinem Vorwort ein paar
Zeilen später fest.
„Ist es doch das Lachen, das eine Art entehrender Verdammung rechtfertigt. Das Gelächter führt uns auf jenen Weg, wo das
Prinzip eines Verbotes, das Prinzip notwendigen. unvermeidlichen Anstands sich in verständnislose Heuchelei verwandelt, in ein Unverständnis dessen, was auf dem Spiele steht. Die vom Spott begleitete, äusserste Zügellosigkeit geht Hand in Hand mit
der Weigerung, die Wahrheit der Erotik ernst – ich meine: tragisch
– zu nehmen.”
Ist es das verächtliche Lachen, das er selbst verachtet?
Erscheint ihm für den kleinen Tod im Liebesakt das Lachen zu mechanisch, zu eingeschnappt? Hier wird der Geschlechtsakt
zelebriert (bis in den Tod). Und schamlos gelacht. Reihum kommt
das vor, das Lachen, es ist ein steter Begleiter seiner
Augenblicke der Ekstase. Dabei geht’s Georges Bataille um den Verschwendungstrieb, den er in der erotischen Obszönität
entdeckt. Genauso wie im Gelächter.
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