Passagiere des Glücks weiter zurück
LOTTO UND GLÜCK
„Glück haben“ kann kurzlebig sein: Sex haben, etwas
Gutes essen, mit Freunden zusammen sein, eine
wichtige Sache erfolgreich abschliessen. „Glücklich
sein“ ist umfassender: Im Glück leben, mit dem
Leben zufrieden sein, viele Glücksmomente erleben.
Fritz Hirzel, Passagiere des Glücks. Wem Lachen auf
die Sprünge hilft. Essay. 140 Seiten. Berlin 2004.
„Kürzlich“, schreibt Deborah Yaffe im Metropolitan Diary
der New York Times, „wartete ich im Grand Central
bei der Rotunde der Informationsschalter auf einen lieben Freund.
Als wir einander sahen, streckten wir, ein Meter Abstand
voneinander, die Arme aus und wollten uns umarmen.
Im selben Augenblick geriet ein Mann zwischen uns, der sich
einen Weg aus der Station bahnte. Äusserst höflich
stoppte er, um uns die Umarmung vollenden zu lassen,
aber als wir ihn sahen, hielten wir inne, um ihn
durchzulassen.
Wir blickten uns an um zu sehen, wer zuerst kommt.
Plötzlich liess er ein grosses Lächeln erkennen, streckte die
Arme aus und wir umarmten uns zu dritt. Dann ging er
seines Weges, und mein Freund und ich lächelten darüber
noch den Rest des Abends. Ich hoffe, er auch.
Nebenbei bemerkt, das hat sich alles abgespielt ohne ein
einziges gesprochenes Wort.“
Lottospieler
„Ja, das sieht gut aus“, sagt der Verkäufer hinter der
Ladentheke. In der Hand hält er den Lottoschein des Kunden, Mittdreissiger beide. Dabei tut der Verkäufer so, als ob
er auf die Kreuze auf dem Zettel einen Blick wirft. „Also, das
seh ich auch so”, sagt er vertraulich, in gespieltem
Ernst. „Das könnte was werden.”
Worauf der Kunde sich beinahe zu entschuldigen
beginnt, dass er so blöd ist, beim Lotto mitzumachen. Nicht
mal das kurze, lautlose Lachen der Verlegenheit hat
er im Gesicht. Ein Tabakladen in Wilmersdorf, elf Uhr, 8. Mai
2004. Im Laden zwei weitere Personen (ebenfalls
männlich): Sie sind’s, die lachen.
Der Einsatz verweist den Lottospieler an den Katzentisch.
Der Einsatz ist zu klein, die Zahl möglicher
Tips zu gross. 13 983 816. Nicht zu packen. Deshalb
hat der Lottospieler seine Hilfsmittel. Er spielt
System, macht Rechenspiele. Er bildet Muster, Zahlenreihen.
Er nimmt die alte Haus- oder Telefonnummer.
Lacht der Lottospieler? Lacht jemand, der auf
etwas setzt, das unwahrscheinlich ist? Ist es seine Hoffnung,
die er bei jeder Ziehung sterben sieht, seine
Hoffnung auf ein anderes Leben? Aber die gibt der
Lottospieler nie auf. Er macht weiter.
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Lachen