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DAS LETZTE LACHEN


Ist es hier, wo Ost und West im Lachen

sich treffen? In Hongkong, wo’s wenig Platz gibt

und viele Leute? Wo Gebäude und Menschen

in einem intensiven Spannungsfeld stehen, in dem Energien sich ständig kreuzen?



               Fritz Hirzel, Passagiere des Glücks. Wem Lachen auf

               die Sprünge hilft. Essay. 140 Seiten. Berlin 2004

 

„Niemand weiss so recht, ob das ein Witz ist oder nicht,

als Carol später, bei einer Ansprache, bei der sie allen dankt,

witzelt, den Antrag noch nicht offiziell anzunehmen”,

schreibt Joe Lavin.

      „Alles was ich weiss ist, dass der inoffizielle Verlobte mehr

als ein bisschen unkomfortabel dreinblickt.”

      Der ist Carols Freund. Er hat sich, kurz bevor Lavin und

seine Freundin Linda eintreffen, vor Carol auf die Knie geworfen

und um ihre Hand angehalten. Vor allen Gästen, “lauter

wohlhabenden Leuten mit Stil”.

      Dreissig engste Freunde hat Carol eingeladen, das ist

ihre Geburtstagsparty. Die gibt sie im The Peninsula, in einer Suite

im 27. Stock, „und der Blick auf die nächtlich erleuchteten

Wolkenkratzer von Hongkong ist atemberaubend”.

      Lavin, der dies am 13. Februar 2002 unter thingsasian.com

schreibt, logiert aber nicht hier. Er kommt sich im Kreis

der Partygäste ein wenig deplaziert vor in seiner von der Reise strapazierten Khakiuniform. Ihm ist das Fünf-Sterne-Hotel

zu teuer. Dabei ist das für eine echte Überraschung gut.


Aus 28. Stock gepinkelt  

Es ist im 28. Stock, wo Architekturstudent Paul Owen

seine Entdeckung macht, im Dachrestaurant The Felix, das

der Architekt Phillip Stark gebaut hat.

      „Wow!” entfährt es Owen – und zwar so, wie sein

Professor Wes Janz „Wow!” sagt: mit drei Fingern auf jeder Seite

des offenen Munds.

      „This bar was crazy!” Sofort schliesst Owen die Bar in

sein Herz. „This was a wild place filled with sophisticated people.”

Aber es ist nicht die Bar, die ihn umhaut, sondern das WC.

„Es ist definitiv das beste WC, das ich je benutzt habe.”

      Owen ist ein Experte. Überall, wo er hinkommt,

widmet er sich „einem der am meisten übersehenen Bestandteile

der Architektur”. Er dokumentiert weltweit WCs in Text

und Bild für ein Projekt am College of Architecture and Planning

der Ball State University, das unter dem Titel World 2000:

Destination Planet Earth segelt.

      Es ist der Blick, der dem Pisser alles offenbart:

      „Du schaust auf eins der drei freistehenden schwarzen

Urinale (vielleicht Granit). Aber schaust du näher hin, siehst du

auf die City darunter. Die Urinale stehen ruhig vor dem

Riesenfenster, das auf die City von Hongkong hinausgeht.

      Du hast das Gefühl aus dem 28. Stock eines Gebäudes

zu pinkeln... Ich hab draussen herumgehangen

und mir die Reaktionen meiner Freunde angehört... und wir

konnten nichts anderes machen als ganz

einfach lachen.”


Ein Fengshui-Meister lacht  

Ist es hier, wo Ost und West im Lachen sich treffen?

In Hongkong, wo’s wenig Platz gibt und viele Leute? Wo

Gebäude und Menschen in einem intensiven

Spannungsfeld stehen, in dem Energien sich ständig

kreuzen?

      So kann nur ein Fengshui-Meister reden, Lam Kam Chuen

tut’s 1997 in einem Interview. „Man sagt immer”,

sagt er, „in Hongkong ginge es im Fengshui darum, wie man

reich werden kann. Wenn ich es wüsste, würde

ich es für mich behalten oder höchstens meinem Sohn

weitererzählen.” Sagt’s. Und lacht.


Liegt im Lachen das Glück?  

In Hongkong erscheint die South China Morning Post,

in der Annie Wan am 8. Oktober 2003 kulturelle

Unterschiede zwischen Asien und den USA beschreibt:

      Drei Frauen haben in Peking miteinander die Highschool

besucht – Niuniu ist in die USA, Yan Yan nach Japan, Han nach Hongkong gegangen. Nach zehn Jahren sehen sie sich

wieder. Yan Yan fragt Niuniu: „Wie ist’s als Frau in Amerika?”

      Niuniu lacht. „Es ist leicht”, sagt sie. „Leichter als in Peking.

Erstens, du hast keine Sorgen mit dem Gewicht. Was du an Pfunden auch ansetzst, du bist dort immer noch petite. Zweitens,

du kannst laut lachen ohne deinen Mund zu bedecken, und niemand findet das unanständig. Drittens, du brauchst nicht

vorzugeben dort geboren zu sein. Englisch mit fremdländischem

Akzent finden sie oft sexy.”

      Was sich in den zehn Jahren verändert hat?

Niuniu und Han sitzen mit übergeschlagenen Beinen da,

sie lachen laut. Nur Yan Yan sitzt aufrecht, redet mit

gedämpfter Stimme und entfernt Lippenstiftspuren mit ihrer Hand von der Teetasse. Sie hält die Hand vor den Mund, wenn sie lächelt.

      Liegt im offenen Lachen ein unverhohlenes Glück?

Gewiss nicht für den Tross der Glücksritter an den endlos

aufgereihten einarmigen Banditen, die in Macao „hungrige Tiger” heissen. Ist Macao die Spritztour wert?


Der Käfig, der das Glück festhält  

Es liegt nur eine Schnellboot-Stunde von Hongkong

entfernt. Im Casino des Hotel Lisboa drängen sich Spieler auf

drei Etagen an Spieltischen und Automaten.

      Seine eigenwillige Gestalt verdankt der runde Bau dem

Feng-shui. Um das Glück am Entfleuchen zu hindern, erhielt er die Form eines Käfigs mit herunterhängenden Ketten.

Die Atmosphäre im Innern ist  verraucht und drückend stickig.

      Sowas ändert die US-Hotelkette Sands, als sie nach

Macao expandiert und hier ein Casino eröffnet.

It’s Vegas, Baby: Das ist im Time-Magazin vom 2. August 2004

die Titelgeschichte.

      Es gibt 18 Meter hohe Fenster, 50 Tonnen schwere

Kandelaber, zweihundert Sorten Tee an der Bar gratis, serienweise Showgirls, megaplex-grosse TVs, ein 90 Meter langes Buffet,

aber das beste ist die Ventilation.

      „Es fühlt sich nicht stickig an”, murmelt Tong Tin-Chung,

der in Macao zu Hause ist. „So wird dir nicht schwindlig.”

Das Design hat wieder ein Fengshui-Meister entworfen.

      Bis ins Detail will es die Elemente der Harmonie bewahren. An

Stelle des Gewinntrios aus „7” tritt an den Münzautomaten

die „8”, sie ist die Glückszahl der Chinesen. Das Wort für „acht”

reimt sich im Chinesischen mit dem Wort, das „reich

werden” bedeutet. Hoppla, ihr blinden Passagiere des Glücks!


Fun in Macao  

Reich werden? Ist’s das? Nicht ganz.

Andere kommen her, weil Prostituierte in Hongkong „verdammt

teuer und nix wert” sind, wie einer im World Sex Guide

hinterlegt. Der bietet über ein Dutzend Macao Reports aus

den Jahren 1996 bis 1998 online an.

      Wo Lachen auftaucht, ist’s dreckig, böse. Mit einer

einzigen Ausnahme. Am 19. April 1998 hält ein Kunde fest, wie

er „Fun in Macao” erlebt hat. Er geht mit dem Girl aufs

Hotelzimmer, bezahlt 400 Hongkong Dollar, hat „Spass” im Bad

und im Bett, wo sie ihm gerade einen bläst, als es an

der Tür läutet.

      Es ist nicht die Polizei, sondern der Lieferdienst mit dem Abendessen. Es gibt Curry-Huhn mit Reis. Das teilt sie mit ihm.

      „Ich hab’s gern scharf, aber... sie lacht, zieht eine Flasche

hervor, verteilt rote Chilisauce und öffnet, da die Flasche leer ist,

ein Glas mit teuflisch aussehender klumpiger schwarzer

scharfer Sauce, von der sie bei sich draufzuladen beginnt!”

      Er sagt einen seiner wenigen kantonesischen Sätze,

der übersetzt heisst: „You gotta be fucking kidding.” Ob sie ihn hinterfotzig auf den Arm nimmt oder nicht, das trifft auf

grosse Ausgelassenheit:

      Die sprachlose Prostituierte sitzt mit gekreuzten Beinen da,

absolut splitternackt bis auf ein Ponyschwanzband, und

lacht das Bauchlachen einer hübschen jungen Frau, die gerade

dabei ist ein Hühnchen aus dem Takeaway wegzuputzen.

      Zuletzt nagt sie die Knochen ab, Krantsch-krantsch-krantsch

macht’s, „und ich denke dran, wie in diesem Mund eben

noch mein Pimmel gesteckt hat mit ein bisschen Latex und viel

heissem Wasser drumherum. Hin und wieder wirft sie mir

ein breites Grinsen zu.”


Sie lacht achtmal, er einmal  

Sie treffen sich im Grinsen, nicht im Lachen. „Ich hab

ein sehr chinesisches Gesicht, aber meine Figur ist voll wie

die einer Portugiesin, wunderbar”, sagt Julia S., mit

der Ian Watts am 6. Juni 1997 ein Interview macht, das er

unter www.geocities.com veröffentlicht. Neun Mal

notiert er Lachen, zweimal Lächeln.

      Sie rauchen beim Reden über Sex im Schnittpunkt der

Kulturen. Am Ende ist der Aschenbecher voll. Zwei Packungen

sind weg, „und irgendwo lächelt Philip Morris”, sagt Watts.

      „Anders als ihr Amerikaner tragen wir Makanesen den Sex

nicht vor uns her, wir wahren Diskretion”, sagt Julia. „Darüber liesse sich streiten”, wirft Watts ein. „Nur zu”, sagt Julia. Sie lacht.

Er schweigt.

      „Wenn ich”, sagt sie, „mit einem Mädchen heute schlafen

will, kann ich’s tun, es ist leicht, und ich kann mich am Tag drauf

in einen Jungen verlieben. Das Leben ist unerwartet,

es ist nie das, was wir planen. Darum halte ich mein Herz offen.

Du hebst schon wieder die Augenbrauen.“

      „Es geht nicht nur um Sex, um Liebe machen, es geht

um ein Gefühl für die andere Person, mit der du zusammen bist.

Es geht ums Lieben mit dem ganzen Körper, siehst du?

Wir sind alle sexuelle Wesen, wir können Liebe nicht von Sex

trennen, weil’s dasselbe ist.”

      Acht Mal lacht Julia im Interview mit Watts, er selbst

nur einmal. Lacht sie, weil sie etwas preiszugeben hat? Wenn ja,

was wäre das? Dass sie im Sex die Beziehung sucht,

dass sie Geschlechtergrenzen überspringt? Cool. Oder ist alles Augenwischerei? Wickelt uns die eigene Erwartung

wieder mal ein?


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Das letzte Lachen